Das 2. Buch Des Blutes - 2
deinesgleichen«, sagte er und näherte sich Kaufman einen Schritt. »Es ist geheim.«
Ah, wohl einer vom Schlag der Gottgesandten? dachte Kaufman. Das erklärt einiges.
»Scheiß drauf«, sagte er wieder.
Der Schlächter runzelte die Stirn. Daß sein Werk, sein beruflicher Nimbus den Kleinen kalt ließen, gefiel ihm gar nicht.
»Wir müssen alle irgendwann sterben«, sagte er. »Du kannst zufrieden sein: Dich wird man nicht ganz verbrennen wie die meisten anderen: Ich kann dich gebrauchen. Als Fressen für die Stadtväter.«
Kaufmans Antwort war lediglich ein Grinsen. Dieser schwerfällige, watschelnde Koloß konnte ihm keine Angst mehr einjagen.
Der Schlächter löste das Hackmesser vom Gürtelhaken und schwang es drohend. »Ein mieser kleiner Jude wie du«, sagte er, »sollte dankbar sein, wenn er überhaupt zu was nütze ist: Frischfleisch - ist doch die Aufstiegschance.«
Ohne Warnung schlug der Schlächter zu. Das Hackmesser zerteilte die Luft mit beträchtlicher Geschwindigkeit, aber Kaufman wich nach hinten aus. Das Hackmesser zerschlitzte seinen Mantelärmel und grub sich in den Unterschenkel des Puertoricaners. Die Wucht des Hiebes trennte das Bein zur Hälfte durch, und das Gewicht des Körpers ließ den Einschnitt sogar noch weiter aufklaffen. Das zutage tretende Fleisch des Schenkels war wie erstklassiges Steak, saftig und appetitlich.
Der Schlächter wollte das Hackmesser aus der Wunde zerren, aber in diesem Augenblick sprang Kaufman los. Das Messer sauste auf Mahoganys Auge zu, aber aufgrund einer Fehlein-schätzung vergrub es sich in dessen Hals. Es durchbohrte die Wirbelsäule und trat auf der ändern Seite in einem Gerinnsel dicken Blutes wieder aus. Mittendurch war es gegangen. Auf einen Hieb. Mittendurch.
Die Klinge im Hals rief bei Mahogany ein Erstickungsgefühl hervor, fast so, als wäre ihm ein Hühnchenknochen im Hals steckengeblieben. Er gab ein lächerliches, unschlüssiges Gehü-
stel von sich. Blut trat aus seinem Mund und färbte ihn rot; es sah aus wie Lippenstift auf seinem Frauenmund. Das Hackmesser rasselte zu Boden.
Kaufman zog das Messer heraus. Aus den zwei Wunden sprudelten kleine Bögen Blut.
Mahogany brach in die Knie und stierte das Messer an, das ihn getötet hatte. Der Kleine beobachtete ihn gänzlich unbeteiligt.
Er sagte irgendwas, aber Mahoganys Ohren waren taub, als wäre er unter Wasser.
Mahogany wurde unversehens blind. Mit wehmütiger Trauer um seine Sinne war er sich bewußt, daß er nie mehr sehen oder hören würde. Das war der Tod: Ganz unbestritten, der hatte ihn in seiner Gewalt.
Noch aber spürten seine Hände das Gewebe seiner Hose und die heißen Spritzer auf seiner Haut. Sein Leben schien auf den Zehenspitzen zu taumeln, während seine Finger einem letzten Sinneseindruck nachtasteten… dann stürzte sein Körper in sich zusammen, und seine Hände, sein Leben und seine heilige Pflicht zerbrachen unter einer grauen Fleischmasse.
Der Schlächter war tot.
Kaufman zog große Mengen abgestandener Luft in seine Lungen und packte eine der Halteschlaufen, um seinen torkelnden Körper ins Gleichgewicht zu bringen. Tränen löschten das blutige Schlachthaus aus, in dem er stand. Die Zeit verstrich: Wieviel, wußte er nicht; er war in einem Siegestraum versunken.
Dann verlangsamte der Zug sein Tempo. Kaufman spürte und hörte, wie die Bremsen arbeiteten. Die hängenden Leiber schlingerten vorwärts, als der Zug die volle Fahrt abbremste; die Räder kreischten auf den Schienen, die Schmutz ausschieden.
Die Neugier überfiel Kaufman.
Würde der Zug in das unterirdische Schlachthaus des Metzgers einrollen, in dem als Trophäen die Fleischstücke, die er in seiner Amok-Laufbahn zusammengetragen hatte, hingen?
Und der lachende, gegenüber dem Massaker so gleichgültige Fahrer? Was würde er machen, wenn der Zug anhielt? Was jetzt auch geschehen mochte, es war eine rein theoretische Frage. Nun konnte er allem und jedem die Stirn bieten; nur beobachten und die Augen offenhalten.
Die Lautsprecher knisterten. Dann die Stimme des Fahrers:
»Wir sind da, Mann, Nimmst besser deinen Platz ein, ja?«
Nimmst deinen Platz ein? Was sollte das heißen?
Die Zuggeschwindigkeit hatte sich zum Schneckentempo verlangsamt. Draußen, hinter den Fenstern, war alles so dunkel wie bisher. Die Lichter flackerten und gingen aus. Diesmal gingen sie nicht wieder an.
Kaufman blieb in völliger Dunkelheit.
»In ‘ner halben Stunde sind wir raus«, kam es über die
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