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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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zerschmolzen selbst die ehrgeizigsten Gedanken wieder auf ihrer Zunge. Eine große schauspielerische Begabung war sie nicht, aber ihre Technik war bei Gott wirklich beachtlich.
    Fehlerfreie Bewegungen, makelloses Timing: Sie wußte einfach, sei es rein instinktiv oder durch häufiges Rollenstudium, wann es an der Zeit war, den Rhythmus zu beschleunigen und die ganze Szene zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen.
    Wenn sie es endlich geschafft hatte, auch noch den allerletzten Tropfen aus dem Moment herauszuholen, war er drauf und dran zu applaudieren.
    Das ganze Ensemble der Calloway-Inszenierung von »Was ihr wollt« wußte selbstverständlich von der Affäre. Gelegentlich fielen giftige Bemerkungen, wenn Schauspielerin und Regisseur gemeinsam zu spät zur Probe kamen, oder wenn sie, augenscheinlich noch randvoll von ihm, aufkreuzte und er errötete. Er versuchte, sie dazu zu bewegen, diesen genüßlich satten Naschkatzenausdruck, den ihr Gesicht dann regelmäßig annahm, unter Kontrolle zu halten, aber so viel Verstellung brachte sie einfach nicht zustande, was in Anbetracht ihres Berufs recht köstlich war.
    Aber schließlich brauchte La Duvall, wie Edward sie hartnäckig zu nennen beliebte, kein großes Talent zu sein: Sie war berühmt. Was machte es schon, wenn sie Shakespeare so sprach, als wäre es Hiawatha, dam di dam di dam di dam? Was machte es schon, wenn ihr psychologisches Einfühlungsvermögen fragwürdig, ihre Logik fehlerhaft, ihre gestalterische Umsetzung unzureichend waren? Was machte es schon, wenn sie von Poesie soviel Ahnung hatte wie vom Kuhmelken? Sie war ein Star, und das war gleichbedeutend mit Geschäft.
    Das konnte ihr keiner nehmen: Ihr Name war bares Geld. Das Elysium-Theater kündigte ihren Ruhm mit vierundzwanzig Cicero großer Antiqua halbfett, schwarz auf gelb an.
    DIANE DUVALL: DER STAR VON »DAS KIND DER LIEBE«.
    Das Kind der Liebe. Möglicherweise die übelste Soap opera, die man in der Geschichte dieses Genres auf die Bildschirme der Nation losgelassen hatte; zwei geschlagene Stunden die Woche voll Charakterschablonen und geisttötendem Dialog, was unter anderem zur Folge hatte, daß sie ständig hohe Einschaltquoten erzielte und ihre Darsteller fast über Nacht zu strahlenden Stars am Talmihimmel des Fernsehens wurden. Dort erglänzte heller als alle anderen Diane Duvall.
    Womöglich war sie nicht für die Klassikerrollen geboren, aber, Mannomann, ein Kassenschlager war sie. Und bei den ausgestorbenen Theatern heutzutage war einzig und allein die Zahl der verkauften Sitzplätze ausschlaggebend.
    Calloway hatte sich mit der Tatsache abgefunden, daß dies keine Modellinszenierung von »Was ihr wollt« werden würde, aber wenn sie erfolgreich wäre—und mit Diane in der Rolle der Viola hatte sie dazu die besten Chancen -, könnte sie ihm ein paar Türen im West End auf tun. Außerdem, die Arbeit mit der allzeit hingebend liebenden, allzeit den ganzen Mann fordernden Miss Duvall entschädigte für einiges.
    Calloway zog seine Sergehose rauf und sah zu ihr runter. Sie bedachte ihn mit diesem ihr eigenen gewinnenden Lächeln, das sie auch in der Brief szene verwendete. Ausdruck Nummer fünf in der Duvall-Skala, irgendwo zwischen »jungfräulich« und
    »mütterlich«.
    Er erwiderte das Lächeln mit einer Variante aus eigenen Beständen, einem bescheidenen, liebevollen Blick, der auf einen Meter Abstand als echt gelten konnte. Dann sah er auf seine Uhr.
    »Gott, wir sind spät dran, Schätzchen.«
    Sie leckte sich die Lippen. Mochte sie den Geschmack wirklich sogern?
    »Ich rieht’ mir besser die Haare«, sagte sie beim Aufstehen und schaute in den langen Spiegel neben der Dusche.
    »Ja.«
    »Bist du okay?«
    »Könnt’ nicht besser sein«, antwortete er. Er küßte sie leicht auf die Nase und überließ sie ihrer Toupiererei.
    Auf dem Weg zur Bühne schlüpfte er schnell in die Herrengarderobe, um seine Kleidung in Ordnung zu bringen und seine brennenden Wangen mit kaltem Wasser abzukühlen. Sex rief bei ihm auf Gesicht und Halsansatz stets verräterische Flecken oder Streifen hervor. Während er sich vorbeugte, um sich mit Wasser zu bespritzen, musterte Calloway seine Gesichtszüge kritisch im Spiegel über dem Becken. Nachdem er die Spuren des Alters sechsunddreißig Jahre unter Kontrolle gehalten hatte, fing er an, mehr oder minder so alt auszusehen, wie er war, keineswegs mehr wie ein taufrischer Jüngling. Unleugbar: leichte Säcke unter den Augen, die hatten nichts mit

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