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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ins Weiße um.
    Die Halle war nicht mehr dunkel. Kerzen brannten, Hunderte, so schien es, an allen Ecken, an allen Enden. Aber dann drehte sich alles in seinem Kopf, die Gehirnerschütterung trübte seine Sehkraft. Es hätte genausogut eine einzige Kerze sein können, von Sinnen vervielfacht, deren Wahrnehmungstreue zweifelhaft geworden war.
    Er stand in der Mitte der Halle und begriff nicht so recht, wieso er stehen konnte, denn die Beine unter ihm fühlten sich taub an und unbrauchbar. Am Grenzrand seiner Vision, jenseits des Kerzenlichts, konnte er Leute reden hören. Nein, nicht wirklich reden: Es waren strenggenommen keine Worte. Es waren Abrakadabra-Laute, hervorgebracht von Leuten, die möglicherweise zugegen waren - oder auch nicht.
    Dann hörte er das Grunzen, das schwache, asthmatische Grunzen der Sau, und geradewegs vor ihm tauchte sie aus dem verschwimmenden Licht der Kerzen auf. Sie war keine strahlende Schönheit mehr. Ihre Flanken waren verkohlt, ihre Perlaugen verdorrt, ihr Rüssel irgendwie entstellend verkrümmt. Sie humpelte sehr langsam auf ihn zu, und sehr langsam war die Gestalt zu erkennen, die rittlings auf ihr saß.
    Es war natürlich Tommy Lacey, nackt wie am Tag seiner Geburt, sein Körper war so rosafarben und so unbehaart wie der eines Schweins aus ihrem Wurf, sein Gesicht genauso unbeleckt von menschlichem Empfinden. Seine Augen waren jetzt ihre Augen, als er die große Sau an ihren Ohren lenkte.
    Und das Geräusch, das die Sau machte, das trensige Geknirsch und Gehechel, kam nicht aus dem Schweinemund, sondern aus seinem. Sein war die Schweinestimme.
    Redman sagte leise seinen Namen. Nicht Lacey, sondern Tommy. Der Junge schien nicht zu hören. Da erst, als die Sau und ihr Reiter näherkamen, registrierte Redman, warum er nicht vornüber aufs Gesicht fiel. Er hatte einen Strick um den Hals.
    Und gerade als er den Gedanken dachte, straffte sich die Schlinge, und er wurde vom Boden weg gewaltsam in die Luft gezogen.
    Kein Schmerz, sondern ein fürchterliches Grauen, schlimmer, um vieles schlimmer als der Schmerz, tat sich auf in ihm, ein abgründiger Schlund des Verlusts und der Reue, und alles, was er war, versank, verschwand darin.
    Unter ihm waren die Sau und der Junge zum Stehen gekommen, unter dem hadernden Gerangel seiner Füße. Der noch immer grunzende Junge war vom Schwein heruntergeklettert und kauerte sich jetzt neben das Vieh hin. Durch die dämmrige Luft konnte Redman die Wirbelsäulenkurve des Jungen sehen, die makellose Haut seines Rückens. Er sah auch das verknotete Seil mit dem ausgefransten Ende, das zwischen seinen blassen Hinterbacken herausragte. In jeder Hinsicht ein Schweine-schwanzersatz.
    Die Sau hob den Kopf, obwohl ihren Augen das Sehen für immer vergangen war. Es tat ihm wohl, sich auszumalen, daß sie litt und von jetzt ab leiden würde, bis sie stürbe. Es reichte fast, sich das vor Augen zu halten. Dann öffnete sich das Maul der Sau, und sie sprach. Er war sich nicht sicher, wie die Worte da herauskamen, aber sie kamen heraus. Die Stimme des Jungen, beschwingtes Vibrato.
    »Dies ist das Los des Getiers«, sagte sie, »Fressen und Gefres-senwerden.«
    Dann lächelte die Sau, und Redman verspürte, obwohl er sich für fühllos-betäubt gehalten hatte, den ersten Schmerzschock; Laceys Zähne bissen ihm ein Stück vom Fuß ab; und schnaubend klomm der Junge den Leib seines Retters hinauf, um das Leben aus ihm herauszuküssen.
    Diane fuhr mit ihren parfümierten Fingern durch die rötlichgelben, zwei Tage alten Stoppeln auf Terrys Kinn.
    »Ich lieb’ sie«, sagte sie. »Auch die paar grauen drunter.«
    Sie liebte alles an ihm, von ihm, oder zumindest behauptete sie das.
    Wenn er sie küßte: Das lieb’ ich.
    Wenn er sie auszog: Das lieb’ ich.
    Wenn er seinen Slip runterließ: Das lieb’ ich, lieb’ ich, lieb’ ich.
    Mit dem Mund machte sie’s ihm immer so rückhaltlos hingebungsvoll, daß er nur noch dem Auf- und Abschnellen ihres blonden Scheitels vor seinem Becken zusehen und zu Gott beten konnte, es möge niemand zufällig in die Garderobe kommen. Sie war schließlich eine verheiratete Frau, wenn auch eine Schauspielerin. Er hatte selbst eine Gattin, irgendwo. Für eines der lokalen Schmierblätter gäbe solch ein Tete-ä-tete ein gefundenes Fressen ab, wo er sich hier doch einen Ruf als emstzunehmender Regisseur aufbauen wollte; keine billigen Mätzchen, kein Klatsch, pure Kunst.
    Wenn sie dann aber seine Nervenenden zum Rotieren brachte,

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