Das 2. Buch Des Blutes - 2
Geschäftsführer seufzte schwer. »Glauben Sie mir, Terry«, sagte er, »ich weiß es selber nicht. Vielleicht fragen Sie Tallulah
- sie war heut nachmittag im Vordertrakt. Anzunehmen, daß sie’s gesehn hat, falls jemand reingekommen ist.«
Er seufzte nochmals. »Okay… Terry?«
Calloway beließ es dabei. Er traute Hammersmith nicht über den Weg. Dem Mann war das Theater letztlich scheißegal, und er versäumte keine Gelegenheit, dies unmißverständlich klar-zumachen. Jedesmal, wenn von irgendwas anderem als Geld die Rede war, verfiel er ostentativ in einen genervten Ton der Ungeduld, als wären ästhetische Belange seiner Beachtung nicht würdig. Und er hatte nur eine, übrigens penetrant verabfolgte, Bezeichnung für Schauspieler und Regisseure: Schmetterlinge, Eintagswunder. In Hammersmiths Welt war nur Geld von Bestand, und das Elysium-Theater stand auf erstklassigem Grund und Boden, aus dem ein kluger Kopf einen ordentlichen Profit rausschlagen konnte, wenn er seine Trümpfe richtig ausspielte.
Schon morgen würde er den Platz verscherbeln, wenn ert deichseln könnte, da war sich Calloway sicher. Eine Trabantenstadt wie Redditch brauchte angesichts der Wachstumsrate von Birmingham keine Theater, sie brauchte Bürobauten, Einkaufs-Zentren, Warenlager: sie brauchte, um die Stadträte zu zitieren, Wachstum durch Investition in neue Industriezweige. Sie brauchte auch erstklassiges Baugelände zur Errichtung dieser Industrieanlagen. Eine bloß auf sich gestellte Kunst konnte eine solche Zweck-und-Nutzen-Haltung nicht überleben.
Tallulah war nicht in der Pförtnerloge, ebensowenig im Foyer, und im Aufenthaltsraum auch nicht.
Durch Hammersmiths Kaltschnäuzigkeit ebenso verärgert wie durch Tallulahs Verschwinden, ging Calloway in den Zuschauerraum zurück, um dort seine Jacke aufzulesen und sich dann vollaufen zu lassen. Die Probe war vorbei, und die Schauspieler waren längst fort. Von der hintersten Reihe im Parkett aus wirkten die kahlen Hecken etwas klein. Womöglich brauchten sie noch zehn, zwanzig Zentimeter mehr. Auf der Rückseite eines Programmzettels, den er in seiner Tasche fand, machte er sich eine Notiz: Hecken evtl. größer?
Das Geräusch von Tritten ließ ihn aufblicken: Eine Gestalt war auf der Bühne erschienen. Aalglatter Auftritt, Bühnenhintergrund Mitte, wo die Hecken zusammenliefen. Calloway kannte den Mann nicht.
»Mr. Calloway? Mr. Terence Calloway?«
»Ja?«
Der Besucher schritt auf der Bühne nach vorn bis dorthin, wo in früheren Zeiten die Rampenlichter gewesen sein mußten; stand da und schaute in den Zuschauerraum.
»Bedaure aufrichtig, Sie in Ihrem Gedankengang gestört zu haben.«
»Macht nichts.«
»Nur auf ein Wort.«
»Mit mir?«
»Wenn’s Ihnen recht ist.«
Calloway schlenderte durchs Parkett ganz nach vom und taxierte dabei den Fremden.
Seine Bekleidung war von Kopf bis Fuß in Grautönen gehalten.
Ein grauer Kammgarnanzug, graue Schuhe, graue Krawatte.
Kotzvoll elegant, lautete Calloways erstes, schonungsloses Resümee. Aber der Mann gab nichtsdestoweniger eine eindrucksvolle Figur ab. Es war schwierig, sein Gesicht im Schatten der Hutkrempe genauer auszumachen.
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle.«
Seine Stimme klang überzeugend, kultiviert. Ideal für Werbespots: Seifenreklame womöglich. Im Gegensatz zu Hammersmiths schlechten Manieren entfaltete die Stimme den angenehmen Hauch feiner Lebensart.
»Mein Name ist Lieh Held. Ich erwarte freilich nicht, daß das einem Mann in Ihrem zarten Alter viel sagt.«
Zartes Alter: Sieh mal an! Womöglich war noch was vom Wunderkind in seinem Gesicht.
»Sind Sie Kritiker?« wollte Calloway wissen.
Das Lachen, das unter der makellos ausgebürsteten Hutkrempe hervordrang, war durchtränkt von Ironie.
»Um Himmels willen, nein«, antwortete Lichfield.
»Tut mir leid, aber dann bringen Sie mich tatsächlich in Verlegenheit.«
»Kein Grund zur Entschuldigung.«
»Waren Sie heut nachmittag im Haus?«
Lichfield überhörte die Frage. »Mir ist klar, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, Mr. Calloway, und ich will Ihnen nicht Ihre Zeit stehlen. Das Theater ist mein Aufgabenbereich genau wie der Ihre. Ich finde, wir sollten einander ab Verbündete betrachten, auch wenn wir uns noch nie begegnet sind.«
Aha, die große Verbrüderung. Die altvertrauten Gefühlsan-spriiche; schon war Calloway so weit, daß er am liebsten ausgespuckt hätte. Er brauchte nur an die Zahl sogenannter Verbündeter zu denken, die
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