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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nahm sie seine eingeschrumpfte Männlichkeit aus ihrem Mund.
    »Was hast du ?« fragte sie, und ihr Geflöte täuschte immer noch Leben vor.
    »Du… du atmest… nicht.«
    Sie machte ein langes Gesicht und ließ ihn los.
    »Ach Schatz«, sagte sie und ließ alle Lebensanmaßung verschwinden. »Ich spiel’ die Rolle nicht besonders gut, oder?«
    Ihre Stimme war eine Geisterstimme: dünn, hilflos-verlassen.
    Ihre Haut, die er für so schmeichelhaft blaß gehalten hatte, war bei genauerem Hinsehen weiß wie Wachs.
    »Du bist tot?« sagte er.
    »Ich fürchte, ja. Vor zwei Stunden: im Schlaf. Aber ich mußte kommen, Terry; so viel unerledigte Arbeit. Ich hab’ meine Wahl getroffen. Es sollte dir eigentlich schmeicheln. Es schmeichelt dir doch, ja?«
    Sie stand .auf und griff in ihre Handtasche, die sie neben dem Spiegel gelassen hatte. Calloway schaute zur Tür und versuchte, seine Gliedmaßen in Bewegung zu bringen, aber sie versagten ihren Dienst. Außerdem hing ihm die Hose um die Fußgelenke. Zwei Schritte, und er würde voll aufs Gesicht fallen.
    Sie wandte sich ihm wieder zu, mit etwas Silbrigem, Spitzem in der Hand. Wie sehr er sich auch anstrengte, er konnte es nicht genau identifizieren. Aber was es auch war, sie hatte es ihm zugedacht.
    Seit dem Bau des neuen Krematoriums im Jahre 1934 war dem Friedhof eine Schmach nach der anderen widerfahren. Die Gräber hatte man nach bleiernen Sargauskleidungen durchplündert, die Steine umgestürzt und zertrümmert; sie waren von Hunden und Graffiti besudelt. Nur ganz wenige Trauernde kamen noch, um nach den Gräbern zu sehen. Die Generationen waren zusammengeschrumpft, und die paar Leutchen, die hier noch immer die Ruhestätte eines ihrer Lieben haben mochten, waren entweder zu schwach, um sich die von Trümmern verstellten Gehwege zuzumuten, oder zu zartbesaitet, um den Anblick solchen Vandalismus’ zu ertragen.
    Es war nicht immer so gewesen. Illustre und einflußreiche Familien waren hinter den Marmorfassaden der viktorianischen Mausoleen in die Erde gebettet. Gründerväter, ortsan-sässige Industrielle und Würdenträger, jedweder, der die Stadt durch seine Leistung zu Ehren gebracht hatte. Der Leib der Schauspielerin Constantia Lichfield war hier bestattet worden (»Bis der Morgen dämmert und die Schatten fliehn«), und ihr Grab stand hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die ihm ein geheimer Bewunderer zollte, fast einzigartig da.
    In dieser Nacht gab es keinen Beobachter, sie war zu rauh für Liebende. So sah auch niemand Charlotte Hancock die Tür ihrer Gruft öffnen; die schlagenden Taubenflügel darauf ap-plaudierten ihrer Rüstigkeit, als sie herauswatschelte, um den Mond zu begrüßen. Ihr Gatte Gerard war mit ihr, er weniger kregel als sie, war er doch dreizehn Jahre länger tot. Joseph Jardine, en famille, war nicht weit hinter den Hancocks; das galt gleicherweise für Mariott Fletcher und Anne Snell und die Gebrüder Peacock; die Liste ging immer weiter. Dort in der Ecke half Alfred Crawshaw (Captain im 17. Lancer-Regiment) seiner lieben Ehefrau Emma aus der Fäulnis ihres gemeinschaftlichen Bettes auf. Überall drängten sich Gesichter an die Spalten der Grabdeckel - war das nicht Kezia Reynolds mit ihrem Kind, das nur einen Tag in ihren Armen gelebt hatte ?
    Und
    Martin van de Linde (»Gesegnet sei das Gedächtnis der Gerechten«), dessen Weib man nie gefunden hatte; Rosa und Seiina Goldfinch: aufrechte Frauen beide; und Thomas Jerrey und…
    Zu viele Namen, um sie alle zu erwähnen. Zu viele Stadien der Verwesung, um sie alle zu beschreiben. Es reicht zu sagen, daß sie sich erhoben: ihr Begräbnisstaat aus Fliegenbrut gewirkt, ihre Gesichter bis aufs bloße Fundament der Schönheit kahlge-fegt. Noch immer kamen sie, stießen das Hintertor des Friedhofs auf und schlängelten sich durch das Ödland Richtung Elysium.
    In der Ferne Verkehrsgeräusch. Oben donnerte ein Jet landeinwärts. Einer der Peacock-Brüder verlor, als er hinauf starrte zu dem blinkenden Giganten, der vorbeiflog, den Halt, fiel aufs Gesicht und zerschmetterte sich den Kiefer. Liebevoll lasen sie ihn auf und geleiteten ihn auf seinem Weg. Niemand kam da zu Schaden; und was wäre denn eine Auferstehung ohne ein bißchen was zum Lachen?
    Die Inszenierung ging also weiter.
    »Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, Spielt weiter! gebt mir volles Maß! daß so Die übersatte Lust erkrank’ und sterbe…«
    Calloway war zu Spielbeginn unauffindbar; aber Ryan hatte Anweisungen von Hammersmith

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