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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Mund und Nase, seine Zunge hing ihm raus wie die eines hechelnden Hundes.
    Hammersmith stellte sein Glas auf seine Schreibunterlage und sah auch das Schlimmste. Auf Calloways Hemd war Blut, und eine Spur führte seinen Hals entlang zum linken Ohr hinauf, aus dem das Ende von Diane Duvalls Nagelfeile ragte. Man hatte sie tief in Calloways Hirn hineingetrieben. Der Mann war mit Sicherheit tot.
    Aber er stand, sprach und ging herum.
    Vom Theatersaal stieg eine neue, durch die Entfernung gedämpfte Beifallssalve herauf. Irgendwie war das kein wirkliches Geräusch; es kam aus einer anderen Welt, einem Bezirk, wo die Gefühle herrschten. Es war dies eine Welt, aus der sich Hammersmith immer ausgeschlossen gefühlt hatte. Ein nennenswerter Schauspieler war er nie gewesen, obwohl er’s weiß Gott versucht hatte, und die zwei Stücke, die er verfaßt hatte, waren kümmerlich, das wußte er. Die Buchhaltung war seine Stärke; er hatte sie dazu genutzt, so nah wie möglich im Bereich der Bühne bleiben zu können; dabei haßte er seinen eigenen Mangel an künstlerischer Begabung ebensosehr, wie ihn ihr Vorhandensein bei anderen ärgerte.
    Der Applaus erstarb, und Calloway ging wie auf das Stichwort eines unsichtbaren Souffleurs hin los auf ihn. Die Maske, die er zur Schau trug, war weder komisch noch tragisch, sie war Blut und Gelächter in einem. In die Enge getrieben, kauerte Hammersmith hinter seinem Schreibtisch. Auf den sprang jetzt Calloway (er sah so lächerlich aus mit seinen baumelnden Hemdschößen und Eiern) und packte Hammersmith an der Krawatte.
    >Spießerseele«, sagte Calloway, der Hammersmiths Herz nun nie mehr kennenlernen sollte, und brach - knacks! - dem Mann das Genick, während drunten erneut der Beifall einsetzte.
    »Umarmt mich dennoch nicht, bis jeder Umstand Von Lage, Zeit und Ort sich fügt und trifft, Daß ich Viola bin.«
    Aus Constantias Mund waren die Verse eine Offenbarung. Es war fast so, als ob »Was ihr wollt« diesmal ein neues Stück und die Rolle der Viola allein für Constantia Lichfield geschrieben worden wäre. Die Schauspieler, die mit ihr auf der Bühne standen, fühlten, wie ihr Ego angesichts einer solchen Begabung in sich zusammenschrumpfte.
    Der letzte Akt näherte sich seinem bittersüßen Abschluß, und das Publikum war, seiner atemlosen Aufmerksamkeit nach zu urteilen, so bezaubert wie immer. Der Herzog sprach:
    »Gib mir deine Hand,
    Und laß mich dich in Mädchenkleidern sehn.«
    Bei der Probe hatte man die in diesem Vers steckende Aufforderung nicht beachtet: Kein Mensch durfte diese Viola berühren, noch viel weniger sie bei der Hand nehmen. Aber in der Hitze der Aufführung waren solche Tabus vergessen. Überwältigt von der Leidenschaft des Augenblicks langte der Schauspieler nach Constantia. Sie vergaß ebenfalls das Tabu und strecke die Hand aus, um seine Berührung zu erwidern.
    In der Seitenkulisse hauchte Lichfield ein geflüstertes »Nein«, aber seine Anordnung blieb ungehört. Der Herzog umschloß Violas Hand in der seinen, Leben und Tod hielten gemeinsam Hof unter diesem gemalten Himmel.
    Es war eine frostige Hand, eine Hand ohne Blut in den Adern, ohne Rötung der Haut.
    Aber hier und jetzt war sie so gut wie lebendig.
    Sie waren einander gleich, der Lebende und die Tote, und niemand konnte sich veranlaßt sehen, sie zu trennen.
    In der Seitenkulisse seufzte Lichfield auf und gestattete sich ein Lächeln. Er hatte diese Berührung gefürchtet, befürchtet, sie würde den Bann brechen. Aber heute nacht war Dionysos auf ihrer Seite. Es würde alles gutgehen, das spürte er.
    Der Akt ging zu Ende, und Malvolio, der immer noch, selbst in der Niederlage, seine Drohungen hinausposaunte, wurde fortgekarrt. Die Truppe trat ab, einer nach dem anderen, und überließ es dem Narren, den Schlußpunkt zu setzen.
    »Die Welt steht schon eine hübsche Weil’, Hopp heisa, bei Regen und Wind!
    Doch das Stück ist nun aus, und ich wünsch euch viel Heil;
    Und daß es euch künftig so gefallen mag.«
    Die Szene verdämmerte, bis es völlig dunkel war und der Vorhang fiel. Auf der Galerie erhob sich stürmischer Beifall, es war jener rasselnde, hohle Beifall. Die Schauspieler, deren Gesichter vom Erfolg der Generalprobe erstrahlten, formierten sich hinterm Vorhang zur Verneigung. Der Vorhang hob sich: der Applaus schwoll an.
    In der Seitenkulisse stieß Calloway zu Lichfield. Er war jetzt angezogen; und er hatte sich das Blut vom Hals gewaschen.
    »Tja, wir machen absolut Furore«,

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