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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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zwölf brauchte er nicht auszusuchen. Nummer zwölf würde selbst zu ihm kommen. Eigentlich war sie schon immer da gewesen, in seiner Fantasie. Nummer zwölf, sie war seine Erlösung. Sie war die Frau, die ihn von diesem Zwang befreien würde, die ihn läutern würde, sie war die Frau, die er lieben würde, für alle Zeit, in Ewigkeit, Amen.
    Und dann später weiter unten:
    Er hatte sich vorgenommen, ihr ein besonderes Grab zu verschaffen. Das Familiengrab. Eines, das er immer wieder aufsuchen konnte, um zu trauern. Um sein verdammtes, verlorenes, verrottetes Leben. Ja, er würde sie nicht verteilen, so wie die anderen. Er würde sie so bestatten, wie sie es verdiente: im Familiengrab. So würden sie zusammen sein, für immer und ewig.
    „John, du hast sie geliebt, nicht wahr? Du hast deine Mutter geliebt.“
    J.R. machte eine Vollbremsung.
    „Hör auf, so einen Scheiß zu reden!“, schrie er.
    Ich wusste jetzt, dass ich auf der richtigen Spur war.
    „J.R., du hast dich in die Frauen, die du in den Everglades verteilt hast, verliebt, nicht wahr? Deshalb hast du sie auch nicht leiden lassen. Du wolltest, dass sie immer bei dir bleiben, deshalb bewahrst du die Köpfe auf. Wo sind die Köpfe, John? Willst du sie mir nicht einmal zeigen? Findest du nicht, dass ich das Recht habe, zu wissen, wo ich einmal landen werde? Und mit wem ich ein Gefrierfach teilen soll?“
    J.R. sagte gar nichts. An seinem abrupten Fahrstil spürte ich aber, dass ich irgendetwas in ihm aufgewühlt hatte. Ob mir das helfen würde? Zu meiner Beruhigung sagte ich mir, dass ich mich ja gar nicht noch mehr um Kopf und Kragen reden konnte. Was für ein Vergleich. Da war sie wieder, die Julia, die über mir schwebte, irgendwo auf einer Wolke und mir zuflüsterte: „Er ist in dich verliebt, nutze es.“
    Okay, ich würde es versuchen. Wie auch immer.
    „John, mir tut der Rücken weh, dauert es noch lange?“ Nach meiner Berechnung müssten wir nämlich bald in Höhe der Edison Mall sein, wenn man mal von der Fahrzeit und dem Geräusch der in Page Field landenden Flugzeuge ausging.
    John schwieg beharrlich. Führte er mich vielleicht doch zu den Frauen mit dem eingefrorenen Blick?
    „J.R., zeig sie mir, deine tiefgekühlten Lieben“, lockte ich.
    „Später, Julia, später.“ Es hörte sich an, als ob er schluchzte. Weinte er etwa? Hatte ich irgendeinen Nerv bei ihm getroffen?
    Mach weiter, Julia.
    „John, was machen wir jetzt mit Sandra?“ Da war es, das Wörtchen WIR, das mir meine Schutzengel-Julia zugeflüstert hatte.
    „Du darfst die Kamera bedienen“, sagte J.R. „Dann muss ich sie nicht immer umstellen.“
    „Wenn ich dir helfen soll, muss ich mich aber bewegen können.“
    „Die Lähmung geht bald vorbei.“
    „Warum hast du mich bewegungsunfähig gemacht, ich wäre doch auch so mit dir mitgekommen?“, fragte ich.
    „Wegen der Kameras auf der Sanibel-Brücke“, sagte er.
    „Die du nicht ausschalten kannst, nehme ich an“, sagte ich. Er sprach von der Mautstelle, die jeder passieren musste, wenn er nach Sanibel rein-beziehungsweise rausfuhr. Die Anwohner hatten einen sogenannten SunPass, der in Sekundenschnelle gescannt wurde, so dass diese, ohne bar zu bezahlen, direkt passieren konnten. Auf dem Rückweg wurde zwar keine Maut mehr fällig, aber die Ausfahrten wurden natürlich registriert.
    „Nein, so schnell ist mein kleiner Apparat noch nicht“, sagte er.
    „Wieso sitzt du eigentlich in Captiva? Das ist nicht unbedingt ein günstiger Standort für einen wie dich, oder?“
    „Stimmt, ich habe das Strandhaus sehr günstig geschossen nach dem großen Sturm und in der Finanzkrise. Eigentlich haben wir es gekauft, weil wir es abreißen lassen wollten, um hier noch eine Apartmentanlage für unsere geschätzten Ökotouristen zu bauen.“
    „Ach, wie schade, es ist so ein gemütliches Haus“, plauderte ich. „Es muss einmal sehr schön gewesen sein hier, bevor die vielen Apartmentanlagen gebaut worden sind.“
    „Es ist ein gutes Geschäft. Nur darum geht’s. Aber für mich war das Haus trotzdem sehr gut, denn ich habe keine Nachbarn, die mich mit ständiger Neugierde belästigen könnten. Nichts als Touristen, die sich mehr für Seeadler als für Menschen interessieren und hispanische Hausangestellte. Ein guter Ort für den Unsichtbaren.“
    Da war es wieder. Er zitierte aus einem Buch von George. Und dann hatte ich eine Idee.
    „Sag mal, wo bist du eigentlich aufgewachsen?“, fragte ich.
    „In Savannah. Das ist

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