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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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weh, wenn J.R. über einen Hubbel fuhr. Ich sah von innen nichts, die Fenster waren mit einer dunklen Folie beklebt. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden, J.R. hielt mehrmals – offensichtlich an Ampeln – und bog mehrmals ab, wir mussten die Inseln bereits verlassen haben und uns in Fort Myers befinden. Das Schreien der Möwen war dem Geräusch von heftigem Verkehr gewichen, man hörte sogar ein Flugzeug tief über das Auto fliegen. Wir befanden uns also in der Nähe von einem Flughafen. Page Field oder Southwest International, das war hier die Frage. Das Flugzeug hörte sich eher klein an, wie eine Cessna oder eine Piper, also waren wir wohl eher in der Nähe von Page Field, dem Regionalflughafen, wo auch George seine Maschine stehen hatte. Hatte er sie mit seinem Bruder geteilt? Hatte sein Bruder damit Leichenteile in den Everglades abgeworfen, um die Alligatoren zu füttern? Der Gedanke, dass ich womöglich in der Cessna gesessen hatte, mit der J.R. menschliche Gliedmaßen verteilt hatte, ließ mich nachträglich erschaudern. J.R. machte eine Vollbremsung.
    „Oh shit“, fluchte er. Gleichzeitig hörte ich das kurze Aufheulen einer Polizeisirene. Was war passiert? Der Lieferwagen fuhr rechts ran. J.R. wartete. Ich hörte, wie er das Seitenfenster öffnete und jemand ihm befahl auszusteigen. J.R. stieg aus. Und ich fing wieder an zu beten. Bitte, bitte, lieber Gott, mach, dass der Officer ihn jetzt nicht verhaftet, wir müssen Sandra finden.
    Durch meinen Kopf rasten die Gedanken. Ich wägte ab, was ich tun sollte. Denn ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich könnte mich bemerkbar machen, also laut um Hilfe rufen. Was würde dann passieren? Ich sah es genau vor mir, J.R. würde unter Garantie irgendwo eine Pistole oder einen Revolver oder ein Gewehr griffbereit haben. Der Polizist wäre sofort tot. Dann würde er mich öffentlich als Geisel nehmen und die Leute vom Sheriff von Lee County, die Bundespolizei und das FBI würden uns jagen und sich gegenseitig darin überbieten, wer J.R. als Erster erlegt. Ich wäre genauso in Lebensgefahr wie jetzt, nur es würde Sandra nicht helfen. J.R. könnte natürlich auch sagen, ich wäre in sein Haus eingedrungen, hätte seinen Bruder erschossen, und dafür würde er mich … Nein, das würde er nicht tun. Ich konnte ihn mit meinen Aussagen belasten. Also würde er mich als Geisel nehmen. Möglichkeit zwei war, dass ich mich still verhielt, und hoffte, dass J.R. nur ein fehlendes Rücklicht oder ein abgefallenes Autokennzeichen oder so etwas hatte. Ich entschied mich für Möglichkeit zwei. Ich entsann mich noch gut an diese schrecklichen Bilder, wie zwei Brüder durch den Osten der Vereinigten Staaten gejagt wurden. Nein danke, auf die Armada konnte ich gut verzichten.
    Endlich stieg J.R. wieder in das Auto. Er verabschiedete sich freundlich von dem Polizisten, schloss die Tür und startete den Wagen.
    „Braves Mädchen“, sagte er, als er losgefahren war, „wäre dir nicht gut bekommen, wenn du einen Mucks von dir gegeben hättest.“
    „Was wollte denn der Polizist?“, fragte ich.
    „Sich wichtigmachen“, antwortete J.R. und gab Gas.
    Was würde mich jetzt erwarten? Sandra? Irgendwo in irgendeinem Magazin. Das man von hinten direkt beliefern konnte. Wie würde er mich dort hineinbringen? Vielleicht konnte man mit dem Lieferwagen direkt reinfahren. Hhm. In welchem Zustand wäre Sandra? Hatte er sie bereits „freigelegt“? Und wie war seine Auslegung von freilegen? Häuten, aufschneiden, ich hatte bei diesen Stellen in Georges Büchern immer innerlich die Augen zugekniffen und nur schnell darüber hinweggelesen, ich mochte mir nicht die intimen Einzelheiten der perversen Killermethoden antun.
    Wie lange würde mein Lähmungszustand anhalten? J.R. hatte sich ein Drehbuch überlegt, das wie ein Puzzle aus den Büchern von George war. Er würde Sandra langsam und genüsslich zu Tode quälen, weil sie in seinen Augen eine Hure war. Und danach würde er mich umbringen. Schnell und schmerzlos. Mit der Motorsäge? Nein, er würde es so aussehen lassen, als ob er mich in Notwehr getötet hätte. Wieso hat er mich nicht bereits in seinem Haus getötet? Es wäre das Einfachste gewesen. Weil er mir zeigen wollte, wie er Sandra tötete. Er war sogar noch stolz auf seine Taten, er wollte damit angeben und er weidete sich an meiner Angst. Der Tod seines Bruders schien ihn kalt zu lassen, was mich wunderte, denn er war als sein Manager ja auch finanziell von

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