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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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tiefster Süden. Georgia. In einem Mobile Home Park. Lauschige Location, glaub mir. Und so nette Nachbarn.“
    Ich überlegte. War das der Ort, wo er seine Mutter umgebracht hatte?
    „Hast du das Mobile Home von deiner Mutter noch?“
    „Nein, schon lange nicht mehr, das ist in sich zusammengefallen, es war verrottet und versifft wie sie.“
    Verdammt, ich war auf der falschen Fährte.
    In diesem Moment bog John in einen Parkplatz ein. Das erkannte ich daran, dass er abbremste und abbog, und an den Geräuschen von anderen Autos. Wo also würde er mich hinbringen?
    Er kurvte eine Weile herum, ich nahm an, dass er irgendwo in eine Lieferanteneinfahrt eingebogen war. Dann rangierte er noch ein wenig hin und her und parkte endlich. Wie würde er mich aus diesem Auto herausbringen? Ich konnte mich immer noch nicht rühren, selbst bei dem Versuch meine Zehen zu bewegen, scheiterte ich kläglich.
    „Ich bin gleich wieder da“, sagte er und stieg aus dem Auto, öffnete die Hintertür und klappte den Deckel der Kiste über mir zu. In der Dunkelheit fürchtete ich zu ersticken. Mit klopfendem Herzen wartete ich auf ihn, lauschte auf die Geräusche, die von draußen zu mir drangen. Es waren weit entfernte Geräusche von rangierenden Lastwagen, von Autotüren, die zuklappten, von Gabelstaplern, die piepend rückwärtsfuhren. Ich hörte Menschen sich gegenseitig grüßen, die Spottdrosseln krakeelten und Radlager quietschten. Es waren die ganz normalen, beruhigenden Geräusche von alltäglicher Geschäftigkeit, die ich gedämpft in meiner Kiste wahrnahm.
    Die Sekunden dehnten sich zu Stunden, in meinem Magen schien sich ein Schwarm Grillen eingenistet zu haben und ich spürte, dass ich schweißdurchtränkt war. Mein eigener Geruch kitzelte in meiner Nase, ich konnte meine Angst riechen. Wie würde ich Sandra vorfinden? Ich hoffte, nein, ich bangte mit jeder Faser meines Körpers, dass sie noch lebte und so gut wie unversehrt wäre.
    Wie könnte ich ihr helfen, diesem gestörten Monster zu entgehen? Ich hatte ihm Solidarität signalisiert, würde uns das helfen? Und dann spürte ich plötzlich ein Ziehen in meinem Finger, ich merkte, wie er anfing zu zucken, und innerhalb von Sekunden konnte ich meine Hände wieder gebrauchen. Es dauerte noch ein Weilchen, dann kam auch die Beweglichkeit in die Beine zurück. Ich konnte mich zwar in der Kiste kaum rühren, aber ich fühlte, dass alle Funktionen wieder da waren. Was hatte er mir nur gespritzt?
    Dann hörte ich, wie die Türen des Lieferwagens geöffnet wurden. J.R. holte mich offensichtlich über eine Rampe heraus, denn plötzlich ging es bergab. Die Kiste drückte und schmerzte an allen Körperteilen, während sie laut rappelnd einen langen Gang hinuntergeschoben wurde.
    Endlich, endlich blieb er stehen. Bitte, öffne den Deckel, flehte ich von innen. Er kam meiner Bitte umgehend nach.
    „Voilà, mein kleines Studio“, sagte er, als er den Deckel zurückklappte. Ich schnappte nach Luft. Die Angst, in diesem Ding zu ersticken, wich aus meinen Lungen.
    „Kannst du dich schon wieder bewegen?“, fragte er.
    „Ich glaube ja.“
    „Dann darf ich der Dame aus dem Wagen helfen?“ Galant hielt er mir die Hand hin. Ich ließ mich hochziehen, stieg mit immer noch zittrigen Knien aus dem Kollo und schaute mich um.
    Ich befand mich in einem türkisfarben gefliesten Raum ohne Fenster. In der Mitte des Raumes stand eine Liege, wie sie in jedem Kosmetikstudio oder Massagesalon steht.
    „Sandra!“, rief ich und eilte zu meiner Freundin. J.R. ließ mich gewähren. Er hatte Sandra auf der Liege festgeschnallt, so ähnlich wie man tobende Kranke in einem Krankenbett fixiert. Ihre Arme waren seitlich festgeschnallt, ihre Beine steckten in Fußfesseln.
    Sandra schaute mich mit weit aufgerissenen, panikgeweiteten Blicken über silberfarbenem Klebestreifen an. Bis jetzt war sie augenscheinlich nicht verletzt worden, wenn man mal von dem Trauma absieht, das J.R. ganz sicher ihrer Seele angetan hatte.
    „Du hast die Hure also noch verschont“, sagte ich kühl und versuchte mit meinen Augen zu Sandra zu telegrafieren. Sandras Blick wurde noch entsetzter, wenn eine Steigerung überhaupt noch möglich war.
    „Immer schön langsam, komm her, ich zeige dir, was ich mit ihr machen werde.“ J.R. führte mich zu einem Tisch, auf dem verschiedene Instrumente lagen. Allein beim Anblick der Werkzeuge wurde mir schlecht. Was wäre, wenn ich jetzt das Skalpell nehmen würde und es diesem Arschloch in

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