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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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wirklich! Die Fäden jammerten, fügten sich aber seinen Forderungen und bildeten in ausgezeichneter Wiedergabe die Nasenlöcher und dann die Augenlider; die Oberlippe - jetzt die untere. Wie ein anbetender Liebhaber skizzierte er aus dem Gedächtnis die Konturen seines verlorenen Gesichts und schuf sie in jeder Einzelheit neu. Jetzt machte er den Hals: eine luftgefüllte, aber täuschend stabil aussehende Säule. Darunter blähte sich das Leichentuch zu einem männlichen Rumpf. Die Arme waren bereits geformt, die Beine schlössen sich rasch an. Und damit war’s getan.
    Er war wiedergeschaffen, nach seinem eigenen Bild.
    Die Illusion war nicht vollkommen. Erstens einmal war er bis auf die Flecken rein weiß, und sein Fleisch hatte die Struktur von Stoff. Die Falten seines Gesichts waren vielleicht zu tief eingeschnitten, muteten fast kubistisch an, und es war unmöglich, das Tuch dazu zu bewegen, den Anschein von Haaren oder Nägeln hervorzubringen. Aber er war so einsatzbereit für die Welt, wie es sich ein lebendes Leichentuch nur irgend erhoffen konnte.
    Es war Zeit, hinauszugehen und seinem Publikum gegenüberzutreten.
    »Dein Spiel, Micky.«
    Maguire verlor selten beim Poker. Er war zu gewieft, und dieses verbrauchte Gesicht war zu undurchschaubar; seine müden, blutunterlaufenen Augen ließen nie irgend etwas nach draußen. Doch trotz seines formidablen Rufs als Gewinner mogelte er nie. Das war ein Abkommen mit sich selbst.
    Gewinnen hatte nichts Erhebendes, wenn Mogelei dabei war.
    Dann lief es bloß auf Stehlen hinaus; und das paßte zu den kriminellen Konsorten. Er war Geschäftsmann, schlicht und einfach.
    Heute nacht hatte er im Zeitraum von zweieinhalb Stunden ein hübsches Sümmchen eingeschoben. Das Leben war erfreulich.
    Seit dem Tod von Dork, Henry B. Henry und Glass war die Polizei zu sehr mit dem Phänomen Mord beschäftigt, um von den harmloseren Spielarten des Lasters noch groß Notiz zu nehmen. Außerdem wurden die Burschen ordentlich geschmiert; brauchten sich über nichts zu beklagen. Inspektor Wall, ein langjähriger Trinkkumpan, hatte Maguire sogar persönlichen Schutz vor dem geisteskranken Killer angeboten, der sich offenkundig auf freiem Fuß befand. Das Ironische an der Idee amüsierte Maguire ungemein.
    Es war fast drei Uhr nachts. Zeit für schlimme Mädels und Jungs, ins Bett zu kommen und von Verbrechen für den morgigen Tag zu träumen. Maguire erhob sich vom Tisch und gab damit zu verstehen, daß das Spiel für heute nacht zu Ende sei. Er knöpfte die Weste zu und band seine Zitrone-mit-Eis
    Seidenkrawatte sorgfältig zu.
    »Nächste Woche wieder ‘n Spielchen?« schlug er vor.
    Die Verliererrunde war einverstanden. Sie waren es gewöhnt, an ihren Boß Geld zu verspielen, aber es gab keine Animosität zwischen den vieren. Eher schon einen Anflug von Traurigkeit: Sie vermißten Henry B. und Dork. Die Samstagabende waren eine so ergötzliche Angelegenheit gewesen. Jetzt aber lag ein gedämpfter Ton über dem Ganzen.
    Perlgut ging als erster. Er drückte seinen Stumpen in dem randvollen Aschenbecher aus.
    »Nacht, Mick.«
    »Nacht, Frank. Gib den Kids ‘n Kuß von ihrem Onkel Mick, ja?«
    »Mach’ ich.«
    Perlgut schlurfte davon, seinen stotternden Bruder im Schlepptau.
    »G-g-g-gut Nacht.«
    »Nacht, Ernest.«
    Die Brüder polterten die Treppe hinunter.
    Norton ging als letzter, wie immer.
    »Lieferung morgen?« fragte er.
    »Morgen ist Sonntag«, sagte Maguire. Sonntags arbeitete er nie; der Tag gehörte der Familie.
    »Nee, heute is’ Sonntag«, sagte Norton, ohne pedantisch sein zu wollen. Er gab bloß seinem natürlichen Impuls nach. »Morgen is’ Montag.«
    »Ja.«
    »Lieferung Montag?«
    »Wollen’s hoffen.«
    »Komm’ Sie zum Lagerhaus?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Ich hol’ Sie dann ab: Könn’ zusammen hinfahren.«
    »Fein.«
    Norton war ein guter Mann. Humorlos, aber verläßlich.
    »Nacht dann.«
    »Nacht.«
    Seine Sieben-Zentimeter-Absätze waren stahlbeschlagen; sie hallten auf der Treppe wie die Pfennigabsätze einer Frau.
    Unten fiel die Tür ins Schloß.
    Maguire zählte seinen Gewinn, leerte sein Glas Cointreau und schaltete das Licht im Spielzimmer aus. Der Rauch erkaltete bereits. Morgen mußte er jemanden veranlassen, hier vorbeizuschauen und das Fenster aufzumachen, etwas frischen Sohoduft hier reinzulassen. Salami und Kaffeebohnen, Menschenverkehr und Verrufenheit. Er liebte das, liebte es heiß und innig, wie ein Baby Mamis Brustwarze liebt.
    Während er

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