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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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allein. In die gestärkte Umarmung eingewickelt, murmelte er zu guter Letzt einige Entschuldigungen, die er unter seinem Stolz hervorgekramt hatte.
    »‘s tut mir leid, wer du auch bist. Was du auch bist, ‘s tut mir leid.«
    Aber in Ronnie war eine Wut, die mit Spätbekehrten rein gar nichts zu tun haben wollte; keinerlei Pardon oder Gnadenfrist waren zulässig. Dieser fischäugige Dreckskerl, diese Skalpellausgeburt, hatte seinen alten Körper zerschnitten und untersucht, als ob er eine Rinderseite wäre. Ronnie lief blaßblau an bei dem Gedanken an die ach-so-coole Einschätzung, die dieser Schleimer für das Leben, den Tod und Bernadette gehabt hatte.
    Der Dreckskerl würde sterben, hier, mitten unter seinen obduzierten Überresten, und das sollte das Ende für sein abgebrühtes Gewerbe sein.
    Die Zipfel des Leichentuchs gestalteten sich jetzt, von Ronnies Erinnerung geformt, zu halbwegs erkennbaren Armen. Die Wiederherstellung seiner alten Erscheinung in diesem neuen Medium kam ihm ganz natürlich vor. Zuerst schuf er Hände; dann Finger; sogar einen rudimentären Daumen. Er glich einem morbiden Adam, aus Leinen statt Lehm.
    Noch während sie Gestalt annahmen, legten sich die Hände dem Pathologen um den Hals. Bis jetzt hatten sie keinen Tastsinn in sich, und Ronnie fiel es schwer abzuschätzen, wie stark auf die pulsierende Haut zu drücken sei, also gebrauchte er einfach alle Kraft, die er aufbringen konnte. Das Gesicht des Mannes wurde schwarz, und seine pflaumenfarbene Zunge stand aus seinem Mund heraus wie eine Speerspitze, scharf und hart. In seiner Begeisterung brach ihm Ronnie das Genick. Es knackte plötzlich entzwei, und in einem gräßlichen Winkel fiel der Kopf nach hinten. Die fruchtlosen Entschuldigungen hatten längst aufgehört.
    Ronnie ließ den Pathologen auf den gefliesten Boden fallen und starrte auf die von ihm geformten Hände hinunter, mit Augen, die momentan nur zwei Nadelstiche in einem besudelten Stofflaken waren.
    Er war sich seiner selbst sicher in diesem Körper, und Mannomann, er war stark; er hatte dem Dreckskerl das Genick gebrochen, ohne sich im mindesten anzustrengen. Als Bewohner dieser fremdartigen, blutlosen Körperstruktur hatte er eine neue Freiheit von den Zwängen des Menschseins gewonnen.
    Plötzlich war er für das Leben der Luft empfänglich, er spürte jetzt, wie sie ihn füllte und schwellte. Sicherlich konnte er fliegen wie ein Laken im Wind oder, wenn’s ihm paßte, sich zu einer Faust verknoten und die Welt in Unterwerfung prügeln.
    Die künftigen Möglichkeiten schienen grenzenlos zu sein.
    Und doch… er ahnte, daß diese Gabe allenfalls vorübergehend Bestand hatte. Über kurz oder lang würde das Leichenlaken sein früheres Leben als untätiges Stück Tuch wiederaufnehmen wollen, und seine wahre, passive Natur wurde wiederhergestellt. Dieser Körper war ihm nicht geschenkt worden, bloß geliehen. Es lag an ihm, nach seinen besten rachsüchtigen Fähigkeiten davon Gebrauch zu machen. Er kannte die Prioritäten. Zuallererst Michael Maguire finden und ihn beseitigen.
    Dann, wenn ihm die Zeit dazu noch reichte, würde er die Kinder aufsuchen. Aber es war unklug, als flatterndes Leichentuch Besuche zu machen. Weitaus besser, er arbeitete an dieser Illusion vom Menschsein und sah zu, ob er den Effekt verfeinern konnte.
    Er hatte gesehen, was für verrücktes Zeug Falten bewirken konnten: Sie ließen Gesichter in einem zerdrückten Kissen oder auf dem zerknitterten Rücken einer an der Tür hängenden Jacke erscheinen. Aber noch etwas Ausgefalleneres gab es: das Turiner Linnen, in dem sich auf wunderbare Weise das Gesicht und der Körper Jesu Christi abgedrückt hatten. Bernadette hatte eine Postkarte von dem Linnen geschickt bekommen, mit allen Wundmalen von Lanze und Nägeln am richtigen Platz.
    Wieso könnte er nicht dasselbe Wunder vollbringen - kraft seines Willens? War er nicht auch ein Auferstandener?
    Er ging zum Leichenhallenausguß und drehte den rinnenden Hahn zu. Dann starrte er in den Spiegel, um seinen Willen Gestalt annehmen zu sehen. Schon zuckte und wallte das Leichentuch, als sein Wille ihm neue Formen abverlangte.
    Zuerst war da nur der primitive Umriß seines Kopfes, grob gestaltet wie der eines Schneemanns. Zwei Vertiefungen für die Augen und eine unförmige Knollennase. Aber er konzentrierte sich, zwang, willentlich, das Leinen dazu, sich bis an die Grenzen seiner Elastizität zu spannen. Und siehe da! Es funktionierte, es funktionierte

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