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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihn zum Weinen, machte ihm Angst vor dem Leben und Angst vor dem Sterben.
    Die Dämmerung war längst einem friedlichen Sonntagmorgen gewichen. In der Sicherheit der »Ponderosa« und am hellichten Tag würde ihm nichts passieren. Das Anwesen war seine Burg, erbaut von seinen sauererrungenen Diebesgütern. Norton war hier, bis an die Zähne bewaffnet. Hunde befanden sich an jedem Eingang. Niemand, ob lebend oder tot, würde es wagen, seine Oberhoheit auf diesem Territorium anzugreifen. Hier, inmitten der Porträts seiner Idole - Louis B. Mayer, Dillinger, Churchill -, inmitten seiner Familie, umgeben von seinem guten Geschmack, seinem Geld und seinen Kunstgegenständen, hier war er sein eigener Herr. Wenn der verrückte Buchhalter ihn hier holen käme, würde man ihn, Gespenst hin oder her, auf der Stelle niederknallen. Finis.
    War er denn nicht Michael Roscoe Maguire, der Begründer eines Imperiums ? Mit nichts geboren, nur kraft seines Börsenmaklergesichts und seiner Einzelgängergesinnung emporgekommen. Dann und wann, zu bestimmten Anlässen und unter sehr kontrollierten Voraussetzungen mochte es vorkommen, daß er seine dunkleren Gelüste sehen ließ, wie etwa bei der Hinrichtung von Glass. Er hatte wahres Vergnügen an dem kleinen Szenarium gefunden. Sein war der Gnadenstoß gewesen, sein das grenzenlose Erbarmen des Todesstreichs. Aber sein gewaltbetontes Dasein lag jetzt mehr oder minder hinter ihm. Jetzt war er ein Bourgeois, abgeschottet in seiner Festung.
    Raquel erwachte um acht und machte sich an die Frühstücksvorbereitungen.
    »Willst du irgendwas essen?« fragte sie Maguire.
    Er schüttelte den Kopf. Der Hals tat ihm zu weh.
    »Kaffee?«
    »Ja.«
    »Willst ihn hier herinnen?«
    Er nickte. Er saß gern vor dem Fenster, das ihm Aussicht auf den Rasen und das Gewä chshaus bot. Der Tag heiterte sich auf.
    Dicke, wollige Wolken stemmten sich gegen den Wind, ihr Schatten zog über das makellose Grün. Womöglich würde er anfangen zu malen, dachte er, wie Winston. Seine Lieblingslandschaften auf Leinwand übertragen. Vielleicht eine Ansicht des Gartens, sogar einen Akt von Raquel, in Öl verewigt, bevor ihr die Titten endgültig halt- und hoffnungslos herunterhingen.
    Säuselnd war sie wieder neben ihm, mit dem Kaffee.
    »Bist okay?« fragte sie.
    Blödes Luder. Natürlich war er nicht okay.
    »Klar«, sagte er.
    »Du hast Besuch.«
    »Was?« Kerzengrade setzte er sich auf in dem Ledersessel.
    »Wo?«
    Sie lächelte. »Tracy«, sagte sie. »Sie möchte rein und knuddeln.«
    Zischend ließ er aus den Mundwinkeln Luft ab. Blödes, blödes Luder.
    »Willst du Tracy sehn?«
    »Klar.«
    Das kleine Malheur, wie er sie gerne nannte, war an der Tür, noch in ihrem Morgenrock.
    »Hallo, Daddy!«
    »Hallo, Herzu«
    Sie tänzelte durch das Zimmer auf ihn zu. Im Ansatz schon der Gang ihrer Mutter.
    »Mami sagt, du bist krank.«
    »Geht mir schon besser«, sagte er.
    »Da bin ich froh.«
    »Ich auch.«
    »Gehn wir heute wohin?«
    »Vielleicht.«
    »Auf den Jahrmarkt?«
    »Vielleicht.«
    Bezaubernd schob sie die Lippen vor, hatte die Wirkung perfekt unter Kontrolle. Raquels Tricks in Neuauflage. Er betete nur zu Gott, daß sie sich nicht zu etwas so Blödem entwickeln würde wie ihre Mutter.
    »Mal schau’n«, sagte er und hoffte, damit ein Ja anzudeuten, wußte aber, daß er nein meinte.
    Sie hievte sich auf seine Knie, und er ließ sie eine Zeitlang mit ihren Geschichten von den Mißgeschicken einer Fünfjährigen gewähren, bis er sie dann fortjagte. Vom Reden bekam er Halsschmerzen, und die Rolle des liebevollen Vaters lag ihm heute nicht allzusehr.
    Wieder allein, sah er dem Walzer der Schatten auf dem Rasen zu.
    Gleich nach elf begannen die Hunde zu bellen. Dann, nach kurzer Zeit, waren sie wieder still. Er stand auf, um Norton zu suchen. Der war in der Küche und legte mit Tracy ein Puzzle.
    »Der Heuwagen«, aus zweitausend Einzelteilen. War Raquel eins von den liebsten.
    »Nach den Hunden gesehn, Norton?«
    »Nein, Boß.«
    »Dann tun Sie’s, verdammter Scheiß.«
    Ergebrauchte relativ selten ordinäre Ausdrücke vor dem Kind, aber er war nahe am Explodieren. Norton reagierte schleunigst. Als er die Hintertür öffnete, konnte Maguire den Tag riechen. Es war verführerisch, aus dem Haus zu treten. Aber die Hunde bellten nun auf eine Weise, die das Blut in seinem Kopf zum Hämmern und seine Handflächen zum Kribbeln brachte. Tracy hielt ihren Kopf über das Puzzle gebeugt. Den Körper angespannt, erwartete

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