Das 3. Buch Des Blutes - 3
Glas heran und noch näher, seine Stimme ein ach-so-sanftes Ächze n im nachlassenden Gewebe.
Maguire hörte den Tuchseufzer am Fenster erst, als Ronnies Gesicht sich flach gegen das Glas drückte, die Züge verschmiert und entstellt. Er ließ die Yeddo-Fichte fallen. Mit abbrechenden Ästen ging sie auf dem Boden in Stücke.
Maguire versuchte, gellend zu kreischen, konnte aber nur ein abgewürgtes Jaulen aus seinen Stimmbändern herausquetschen. Überstürzt flüchtete er zur Tür, als das Gesicht, riesengroß vor Rachegier, das Glas zerbrach. Was als nächstes geschah, begriff Maguire nicht so recht: Diesen Rätselvorgang, bei dem sich der Kopf und der Körper über die physikalischen Gesetze hinwegzusetzen und durch die zerbrochene Scheibe zu fließen schienen, um sich in seinem Heiligtum wieder zusammenzufügen und die Gestalt eines menschlichen Wesens anzu nehmen.
Nein, ganz menschlich war es nicht. Es hatte das Aussehen eines Schlaganfallopfers. Seine weiße Maske und sein weißer Körper hingen auf der rechten Seite schlaff herunter, und es zerrte sein zerrissenes Bein hinter sich her, während es auf ihn losfuhr.
Er öffnete die Tür und taumelte rückwärts in den Garten. Das Wesen folgte. Jetzt sprach es und hielt dabei die Arme nach ihm ausgestreckt.
»Maguire …«
Es sagte seinen Namen mit einer so leis -gedämpften Stimme, daß er s ich die Äußerung möglicherweise nur eingebildet hatte. Aber nein, es sprach erneut.
»Erkennst mich wieder, Maguire?« sagte es.
Und natürlich tat er das, selbst mit diesen vom Schlag gerührten, wellig sich blähenden Zügen war es offensichtlich Ronnie Glass.
»Glass«, sagte er.
»Ja«, sagte das Gespenst.
»Ich will nicht…«, fing Maguire an, stockte dann. Was wollte er nicht? Mit diesem Horror sprechen? Bestimmt nicht. Wis sen, daß er existierte? Das ebensowenig. Sterben? Am allerwenigsten.
»Ich will nicht sterben.«
»Wirst du aber«, sagte das Gespenst.
Maguire spürte den flappenden Luftschwall des Lakens, als es ihm ins Gesicht flog, oder vielleicht war es der Wind, der dieses unkörperliche Monster erfaßte und über ihn warf.
Was auch immer, die Umarmung stank nach Äther, Desinfektionsmittel und Tod. Leinenarme schlangen sich fest um ihn, das glotzende Gesicht wurde auf seines gepreßt, als wollte das Wesen ihn küssen.
Instinktiv langte Maguire um seinen Angreifer herum, und seine Hände fanden den Riß, den d ie Hunde in das Leichentuch gebissen hatten. Seine Finger krallten sich in den offenen Rand, und er zog daran. Befriedigt hörte er das Leinen entlang der Gewebebindung reißen, und der Umarmungsclinch ließ nach. Das Leichentuch warf und wand sich widerstrebend in seiner Hand, weit klaffte der zerflossene Mund in einem stillen Schrei.
Ronnie spürte eine höllische Qual, die er eigentlich mit Fleisch und Blut hinter sich gelassen zu haben glaubte. Aber da war sie wieder: Schmerz, Schmerz, Schmerz.
Er flatterte fort von seinem Verstümmler und stieß aus, was er an Schrei zustande brachte, während Maguire mit riesengroßen Augen über den Rasen davonwankte. Der Mann war dem Wahnsinn nahe, sicher war er geistig -seelisch so gut wie gebrochen. Aber das war n icht genug. Er mußte den Dreckskerl töten. Das war sein Versprechen an sich selbst, und er hatte vor, es zu halten.
Der Schmerz verschwand nicht, aber Ronnie versuchte, ihn zu ignorieren. Er verwandte all seine Energie darauf, Maguire durch den Garten Richtung Haus zu verfolgen. Aber er war jetzt so schwach. Der Wind gewann beinahe die Oberhand über ihn; in Böen fuhr er ihm durch die Figur und faßte ihn an den zerfransten Eingeweiden seines Körpers. Er sah aus wie eine im Kampf zerrissene Fahne, derart verunreinigt, daß sie kaum noch zu erkennen war, und so, als sei er gerade im Begriff, für heute Schluß zu machen.
Nur eben, nur eben … Maguire.
Maguire erreichte das Haus und warf die Tür hinter sich zu.
Das Laken drückte sich gegen das Fenster. Es flappte absurd, seine Leinenhände wischten über das Glas, sein fast verlorenes Gesicht forderte Rache.
»Laß mich rein«, sagte es. »Ich will da rein.«
Maguire wankte rückwärts durch das Zimmer in den Flur.
»Raquel…«
Wo war das Weib ?
»Raquel… ?«
»Raquel…«
Sie war nicht in der Küche. Aus dem Hobbyraum kamen Gesangsfet/en von Tracy. Er guckte hinein. Die Kleine war allein. Sie saß mitten auf dem Boden, Kopfhörer über die Ohren gestülpt, und sang bei irgendeinem Lieblingslied
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