Das 3. Buch Des Blutes - 3
das Zartgefühl im Herzen von Rohlingen. Ricky konnte das Gesicht nicht ausstehen. Es juckte ihn nur so in den Fingern hineinzuschlagen.
Scheiß drauf, angenommen der Schauspieler, egal wer es war, würde ihn sowieso erschießen, was konnte er da noch groß verlieren, wenn er dem Mistkerl die Faust ins Gesicht setzte?
Der Gedanke wurde zur Tat: Ricky ballte die Hand zur Faust, holte aus, und seine Fingerknöchel landeten auf Waynes Kinn.
Der Schauspieler war langsamer als sein Bild auf der Leinwand.
Er brachte es nicht fertig, dem Hieb auszuweichen, und Ricky nutzte die Gelegenheit, um Wayne das Schießeisen aus der Hand zu schlagen. Dann bombardierte er den Körper unverzüglich mit einem Faustschlaghagel, genau wie er es im Kino gesehen hatte. Es war eine imposante Darbietung.
Der Größere wich unter den Hieben taumelnd zurück, stolperte und verfing sich d abei mit den Sporen im Haar des toten Jungen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel in den Staub; sah schlecht für ihn aus.
Der Mistkerl war besiegt! Ricky verspürte eine Erregung, die er nie zuvor gekostet hatte, die ausgelassene Heiterkeit eines rein körperlichen Triumphs. Mein Gott! Er hatte den größten Cowboy der Welt zu Fall gebracht. Sein kritisches Unterscheidungsvermögen wurde vom Sieg überwältigt.
Mit einem Mal verdichtete sich der Staubsturm. Noch immer lag Wayne, bespritzt vom Blut einer zertrümmerten Nase, einer gerissenen Lippe, auf dem Boden. Schon machte ihn der Sand zusehends unkenntlich, zog einen Vorhang vor die Schande seiner Niederlage.
»Steh auf«, verlangte Ricky und versuchte, aus der Situation Kapital zu schlagen, ehe die Chance endgültig verpaßt war.
Wayne schien zu grinsen, während der Sturm ihn zudeckte.
»Na, Junge«, feixte er und rieb sich das Kinn, »wir machen noch’n Mann aus dir …«
Dann wurde sein Körper vom treibenden Staub weggefressen, und vorübergehend trat etwas anderes an seine Stelle, ein Gebilde, aus dem Ricky nicht wirklich schlau wurde. Eine Gestalt, die Wayne war und dann auch wieder nicht. Rapide verfiel sie zu etwas mehr und mehr Nicht-Menschlichem.
Schon war der Staub ein furioses Bombardement, füllte Augen und Ohren. Würgend, nach Atem ringend, taumelte Ricky vom Schauplatz des Kampfes weg, und wunderbarerweise traf er auf eine Wand, eine Tür, und bevor er noch schlau daraus werden konnte, wo er sich befand, hatte ihn der brüllende Sturm in die Stille des Filmpalasts ausgespien.
Und dort stieß er, obwohl er sich geschworen hatte, sich so etwas absolut zu verkneifen, seit er sich einen Schnurrbart hatte wachsen lassen, einen kleinen Schrei aus, dessen sich Fay Wray nicht hätte zu schämen brauchen, und klappte zusammen.
Im Foyer erzählte Lindi Lee Birdy, weshalb sie Filme nicht besonders mochte. »Das heißt, Dean mag Cowboyfilme. Also, die Sorte mag ich eigentlich gar nicht. Wahrscheinlich sollt’ ich so was vor dir nicht sagen …«
»Doch, is’ schon okay.«
»… aber dir müssen eigentlich Filme echt was bedeuten, nehm’ ich an. Wo du doch hier arbeitest.«
»Manche Filme mag ich schon. Nicht jeden.«
»Ach.« Sie schien verblüfft. Eine Menge Dinge schienen sie zu verblüffen. »Weißt du, ich mag Naturfilme.«
»Ach …«
»Weißt schon. Mit Tieren … und so.«
»Ja …« Birdy erinnerte sich an ihre Vermutung, daß Lindi Lee kaum einen optimalen Gesprächspartner abgeben würde. Wie wahr.
»Wo die bloß bleiben?« sagte Lindi.
Die Ewigkeit, die Ricky in dem Sandsturm verbracht hatte, hatte in der wirklichen Zeit nicht länger als zwei Minuten gedauert. Aber schließlich war die Zeit in den Filmen eine dehnbare Größe.
»Ich schau mal nach«, erbot sich Birdy.
»Wahrscheinlich ist er ohne mich abgezogen«, sagte Lindi wieder.
»Das wer’n wir schon sehen.«
»Danke.«
»Mach dich nicht verrückt«, sagte Birdy und legte dem Mädchen im Vorbeigehen leicht die Hand auf den dünnen Arm.
»Ich bin sicher, alles is’ okay.«
Sie verschwand durch die Schwingtüren in den Kinosaal und ließ Lindi allein im Foyer zurück. Lindi seufzte. Dean war nicht der erste Junge, der sie versetzt hatte, nur weil sie ihn zappeln ließ. Lindi hatte ihre eigenen Vorstellungen darüber, wann und wie sie sich voll und ganz auf einen Jungen einlassen würde.
Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, und Dean war nicht der richtige Junge. Er war zu gewieft, zu sprunghaft, und sein Haar roch nach Dieselöl. Wenn er sie versetzt hatte, würde sie sich über den Verlust nicht
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