Das 3. Buch Des Blutes - 3
Juchhe-Rufen öffnete er den Reißverschluß und fing an, seiner schmerzhaft drückenden Blase Erleichterung zu verschaffen, bespritzte sich die Füße in seiner Hast.
Ach, hol’s der Teufel, er hatte diese Illusion besiegt. Wenn er sich jetzt umdrehte, dann wäre der phantastische Spuk bestimmt schon in nichts aufgelöst. Der Saloon, der tote Bursche, der Sturm, alles wäre verschwunden. Es war irgendein chemischer Rückschlag, schlechtes, noch nicht ganz abgebautes Dope im Organismus, das seine Einbildung verarschte. Als er die letzten Tropfen auf seine blauen Wildlederschuhe schüttelte, hörte er den Helden dieses Films sprechen.
»Wie kommst’n dazu, auf meina Straße rumzupiss’n, Junge?«
Es war John Waynes Stimme, haargenau bis auf die letzte verschluckte Silbe, und sie war direkt hinter ihm. Ricky durfte nicht einmal daran denken, sich umzudrehen. Der Kerl würde ihm todsicher den Kopf wegpusten. Sie schwang in der Stimme mit, diese bedrohliche Lässigkeit, die warnte: eine falsche Bewegung, und es knallt. Der Cowboy war bewaffnet, und alles, was Ricky in der Hand hatte, war sein Pimmel, der es mit einem Schießeisen nicht aufnehmen konnte, selbst wenn Ricky besser bestückt gewesen wäre.
Ganz vorsichtig steckte er seine Waffe weg, zog den Reißverschluß hoch, hob dann die Hände. Vor ihm war das wogende Bild der Toilettenwand wieder verschwunden. Der Sturm heulte. Das Blut tropfte ihm vom Ohr den Hals hinunter.
»Okay, Junge, du nimmst jetzt gefälligst deinen Revolvergurt ab und läßt ihn zu Boden fallen. Verstanden?« sagte Wayne.
»Ja.«
»Schön langsam, das Ganze, und die Hände immer so, daß ich sie sehen kann.«
Junge, der Kerl wollte es aber wissen.
Schön langsam, wie es der Mann verlangt hatte, schnallte Ricky seinen Gürtel auf, zog ihn durch die Halteschlaufen an seinen Jeans und ließ ihn auf den Fußboden fallen. Die Schlüssel hätten beim Aufschlagen auf die Fliesen laut scheppern müssen, er hoffte es inständig. Kein Glück. Nur ein dumpfes ersticktes Klirren - so klang Metall auf Sand.
»Okay«, sagte Wayne. »Jetzt wirst du langsam manierlich.
Was hast’n zu sagen zu dei’m Verhalten?«
»‘s tut mir leid?« sagte Ricky lahm.
»Leid?«
»Daß ich auf die Straße gepißt hab’.«
»Schätze, Leidtun reicht als Buße nicht aus«, sagte Wayne.
»Aber ‘s tut mir echt leid, ‘s war ein Versehen, das Ganze.«
»Euch Fremde ham wir so ziemlich satt hierzulande. Stoß ich auf dieses Bubi, hat die Hosen runtergelass’n und setzt uns ‘n Haufn mitten in den Saloon. Also das nenn’ ich ungehobelt!
Wo hab’n sie euch Hurensöhne überhaupt erzog’n? Bring’ sie euch so was auf dies’n Luxusschulen drüben im Osten bei?«
»Ich kann mich gar nicht genug entschuldigen.«
»Hast verdammt recht. Genauso is’ es«, sagte Wayne gedehnt.
»Gehörst du zu dem Bubi?«
»Gewissermaßen.«
»Was’n das für’n komisches Geschwafel?« Dabei stieß er Ricky seinen Revolver in den Rücken. Er fühlte sich tatsächlich sehr echt an. »Gehörst du zu ihm oder nicht?«
»Ich hab’ bloß sagen wollen …«
»Du hast in diesem Gebiet rein gar nichts zu sagen, Mister, das garantier’ ich dir.« Hörbar spannte er den Revolverhahn.
»Warum drehst du dich nicht um, Burschi? Woll’n doch mal sehn, woraus du gemacht bist.«
Die Nummer kannte Ricky schon. Der Mann dreht sich um, greift nach einer versteckten Kanone, und Wayne erschießt ihn. Keine Debatte, keine Zeit, um die ethischen Aspekte zu diskutieren, eine Kugel erledigt so eine Angelegenheit besser als Worte.
»Umdrehn, hab’ ich gesagt.«
Ganz langsam gehorchte Ricky, um dem Überlebenden von tausend Showdowns ins Gesicht zu sehen, und da war der Mann höchstpersönlich, oder vielmehr eine glänzende Verkörperung von ihm. Ein Wayne der mittleren Periode, nicht der fette, krank aussehende der letzten Jahre. Ein Rio-Grande-Wayne, staubig vom langen Weg, der Blick verkniffen vom lebenslangen Absuchen des Horizonts. Für das Western -Genre hatte Ricky nie etwas übrig gehabt. Er haßte dieses ganze forcierte Macho-Getue, die Beweihräucherung von Dreck und billigem Heldentum. Seine Generation hatte Blumen in Ge wehrläufe gesteckt, und er hatte das damals richtig gut gefunden, heute auch noch, genaugenommen.
Dieses Gesicht verkörperte in seiner Pseudo-Männlichkeit, seiner sturen Unerbittlichkeit eine Handvoll tödlicher Lügen über die glorreiche Gründerzeit Amerikas, die Moral des Kurzen-Prozeß-Machens,
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