Das 3. Buch Des Blutes - 3
Der ganze Innenraum schien in ständiger, fluktuierender Veränderung begriffen, als ob er atmen würde.
Achte nicht darauf: Hol die Schlüssel.
Sie raste den Seitengang hinunter und war sich dabei, wie immer, wenn sie lief, bewußt, daß ihre Brüste auf und ab hüpften und ihre Hinterbacken gleichfalls. Bin kein schlechter Anblick, dachte sie stellvertretend für jeden, der Augen im Kopf hatte. Ricky stöhnte in seiner Ohnmacht. Birdy suchte nach den Schlüsseln, aber sein Gürtel war verschwunden.
»Ricky …«, sagte sie nah an seinem Gesicht. Das Stöhnen wurde stärker. »Ricky, kannst du mich hören? Ich bin’s, Birdy, Rick. Birdy.«
»Birdy?«
»Wir sind eingesperrt, Ricky. Wo sind die Schlüssel?«
»… Schlüssel?«
»Du hast deinen Gürtel nicht an, Ricky.« Sie sprach langsam, wie mit einem Schwachsinnigen. »Wo-sind-deine-Schlüssel?«
Das Puzzle, das Ricky in seinem schmerzenden Kopf zusammensetzte, war plötzlich fertig, und er setzte sich auf. »Der Junge!« sagte er.
»Welcher Junge?«
»Im Klo. Tot im Klo.«
»Tot? O Gott. Tot? Bist du sicher?«
Anscheinend befand sich Ricky in einer Art Trance. Er schaute sie nicht an, hatte den Blick einfach auf mittlere Entfernung eingestellt und sah etwas, das sie nicht sehen konnte.
»Wo sind die Schlüssel? « fragte sie wieder. »Ricky. Es ist wichtig. Konzentrier dich.«
»Schlüssel?«
Am liebsten hätte sie ihm jetzt eine heruntergehauen, aber sein Gesicht war bereits blutig, und es kam ihr sadistisch vor.
»Auf dem Boden«, sagte er nach einiger Zeit.
»Im Klo? Auf dem Boden im Klo?«
Ricky nickte. Die Kopfbewegung schien ein paar schreckliche Gedanken aufzujagen. Plötzlich sah er aus, als ob er gleich weinen würde.
»‘s kommt alles wieder in Ordnung«, sagte Birdy.
Rickys Hände hatten sein Gesicht gefunden, und er befühlte seine Züge, ein Ritual der Beruhigung. »Bin ich hier?« erkundigte er sich leise.
Birdy hörte ihn nicht, sie wappnete sich für das Klo. Sie mußte da hineingehen, ohne jeden Zweifel, ob ein Körper drin war oder keiner. Hinein mit dir, hol die Schlüssel, und wieder raus mit dir. Tu’s jetzt.
Sie ging durch die Tür. Dabei fiel ihr ein, daß sie noch nie zuvor in einer Männertoilette gewesen war, und sie hoffte inständig, daß diese erste Gelegenheit auch die letzte sein würde.
Die Toilette lag fast in völliger Dunkelheit. Das Licht flackerte auf dieselbe unruhige Art wie die Kinosaalbeleuchtung, aber auf einer schwächeren Stufe. Sie stand bei der Tür, ließ ihren Augen Zeit, sich an das schummrige Zwielicht zu gewöhnen, und musterte sorgfältig die Szene.
Die Toilette war leer. Kein Junge war auf dem Boden, weder ein toter noch ein lebendiger.
Die Schlüssel hingegen waren da. Rickys Gürtel lag in der Abflußrinne des Pissoirs. Sie fischte ihn heraus, der schwere Geruch des Desinfektionssteins verurs achte ihr Schmerzen in den Nebenhöhlen. Während sie die Schlüssel von ihrem Ring losmachte, trat sie aus der Toilette in die vergleichsweise frische Atmosphäre des Kinosaals. Und damit hatte sich’s auch schon, so simpel war das.
Ricky hatte sich auf einen der Sitze hochgehievt; zusammengesackt saß er da und sah so elend aus, so in Selbstmitleid versunken wie noch nie. Er schaute auf, als er Birdy kommen hörte.
»Ich hab’ die Schlüssel«, sagte sie.
Er stöhnte. Gott, sieht er krank aus, dachte sie. Ein Teil ihres Mitgefühls hatte sich jedoch verflüchtigt. Offensichtlich hatte er Halluzinationen, und die waren wahrscheinlich chemischen Ursprungs. Er hatte sich’s verdammt noch mal selber zuzuschreiben.
»Da drinnen ist kein Junge, Ricky.«
»Was?«
»Es ist kein Körper im Klo, nicht die Spur. Auf was für ‘nem Trip bist’n überhaupt?«
Ricky schaute auf seine zitternden Hände hinunter. »Auf gar keinem. Ehrlich.«
»So was Saublödes«, sagte sie. Sie hatte halbwegs den Verdacht, daß er sie irgendwie auf die Schippe genommen hatte, nur waren so handgreifliche Scherze nicht sein Stil. Auf seine Art war Ricky ein ziemlicher Puritaner, das hatte mit zu seinen Reizen gehört. »Brauchst’n Arzt?«
Verdrießlich schüttelte er den Kopf.
»Bist du sicher?«
»Nein, hab’ ich gesagt«, fuhr er sie an.
»Okay, war nur ‘n Angebot.« Schon marschierte sie die Schräge des Seitengangs hinauf und murmelte dabei irgend etwas im Flüsterton. An der Foyertür blieb sie stehen und rief ihm zu:
»Ich glaub’, jemand Unbefugter ist im Haus. Irgendwer war am Nebenanschluß.
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