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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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der Männer, die sie je gekannt hatte, mochte dicke Arme. Das Handgelenk ihrer Freundin sollte immer so beschaffen sein, daß sie es mit Daumen und Zeigefinger ganz umspannen konnten; war eine primitive Methode, um die Zuneigung zu messen. Ihre Handgelenke hingegen waren, wenn sie brutal offen zu sich war, praktisch nicht wahrnehmbar. Ihre dicken Hände gingen in ihre dicken Unterarme über, die ihrerseits, nach einer pummeligen Wegstrecke, in ihre dicken Oberarme übergingen. Die Männer konnten ihre Handgelenke nicht umspannen, weil sie keine Handgelenke hatte, und das vertrieb sie letztlich. Na ja, jedenfalls war das eine der Ursachen. Sie war auch sehr gescheit. Und das war stets ein Nachteil, wenn man wollte, daß einem die Männer zu Füßen lagen. Aber von den möglichen Erklärungen, warum sie immer nur Pech in der Liebe gehabt hatte, wählte sie, ohne zu zögern, die dicken Arme als die wahrscheinlichste.
    Wohingegen dieses Mädchen so schlanke Arme hatte wie eine balinesische Tänzerin, ihre Handgelenke sahen so dünn aus wie Glas, und in etwa so zerbrechlich.
    Wirklich gräßlich. Obendrein war sie wahrscheinlich als vernünftiger Gesprächspartner miserabel. Gott, das Mädchen hatte alle Vorzüge. »Wie heißt du?« fragte sie.
    »Lindi Lee«, erwiderte das Mädchen.
    Auch das noch.
    Ricky dachte, er hätte sich irgendwie geirrt. Das kann unmöglich die Toilette sein, sagte er sich.
    Dem Anschein nach stand er auf der Hauptstraße einer Grenzstadt, wie er sie in zweihundert Western gesehen hatte. Ein Sandsturm schien zu toben, der ihn zwang, seine Augen gegen
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    den beißenden Staub zu Schlitzen zusammenzukneifen. Durch das Gewirbel der ockergrauen Luft konnte er, wie er meinte, du Gemischtwarenläden, das Sheriff’s Office und den Saloon ausmachen. Sie hatten den Platz der Toilettenkabinen eingenommen. Ab und zu tanzten die obligatorischen Unkrautbüschel im heißen Wüstenwind an ihm vorbei. Der Boden unter seinen Füßen war festgestampfter Sand, keinerlei Anzeichen von Fliesen. Keinerlei Anzeichen von irgend etwas, das auch nur entfernt mit einer Toilette zu tun hatte.
    Ricky schaute nach rechts, die Straße hinunter. Wo die weiter weg liegende Wand des Klos hätte sein sollen, verlor sich die Straße perspektivisch verkürzt in einer gemalten Ferne. Ein fauler Zauber war das, selbstverständlich, das Ganze war ein Schwindel. Mit Sicherheit würde er, wenn er sich konzentrierte, dieses Lügengebilde allmählich durchschauen, um herauszufinden, wie es zustande gekommen war: die Projektionen, die versteckten Beleuchtungseffekte, die Prospekte, die Wiedergaben im verkleinerten Maßstab; all die Tricks der Branche.
    Aber obwohl er sich so angestrengt konzentrierte, wie dies sein leicht drogenbelämmerter Zustand eben zuließ, konnte er seine Finger beim besten Willen einfach nicht unter den äußersten Rand der Illusion bringen, um sie wegzureißen.
    Der Wind wehte einfach weiter, fegte die Unkrautbüschel weiter vor sich her. Irgendwo im Sturm krachte ein Scheunentor zu, ging auf und krachte abermals zu in den Böen. Er konnte sogar Pferdescheiße riechen. Der Effekt war so verdammt vollkommen, daß es ihm vor Bewunderung den Atem verschlug.
    Aber egal, von wem dieser außerordentliche Szenenaufbau stammte, er hatte seine Stärke unter Beweis gestellt. Ricky war beeindruckt, doch jetzt war es an der Zeit, dem Spiel ein Ende zu machen.
    Er wandte sich wieder zur Toilettentür um. Sie war weg. Eine Staubwand hatte sie ausradiert, und plötzlich war er verloren and allein.
    Das krachende Scheunentor war noch immer zu hören. Im sich verschlimmernden Sturm riefen Stimmen einander etwas zu.
    Wo war der Saloon, wo das Sheriff’s Office? Auch sie waren verdunkelt, ausgelöscht worden. Ricky bekam zu spüren, was er seit seinen Kindertagen nicht mehr erlebt hatte: die panische Angst, wenn man plötzlich von der schützenden Hand einer vertrauten Person losgerissen war. In diesem Fall war der verlorene Elternteil sein klarer Verstand.
    Irgendwo links von ihm ertönte mitten im Sturm ein Schuß, und er hörte in seinem Ohr etwas pfeifen, spürte dann einen scharfen Schmerz. Zaghaft führte er die Hand an sein Ohrläppchen und berührte die Stelle, die weh tat. Man hatte ihm einen Teil vom Ohr weggeschossen, eine saubere Kerbe im Ohrläppchen. Sein Ohrstecker war weg, und er hatte Blut, wirkliches Blut an den Fingern. Jemand hatte entweder haarscharf danebengeballert, statt ihm den Kopf wegzupusten,

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