Das 3. Buch Des Blutes - 3
für dieses Phänomen.
Jonathan machte sich nicht einmal die Mühe aufzuschauen; er hatte zu große Probleme mit dem Gleichgewicht.
Die Lawine war zum Stillstand gekommen, ihre Energie erschöpft. Da löste sich wieder eine, diesmal zwischen uns und dem Meer. Springende Steine: diesmal größer als die vorherigen, und sie erreichten beim Hüpfen eine größere Höhe.
Diesmal dauerte es länger: Ein Stein hämmerte auf den anderen, bis ein paar Kiesel tatsächlich am Ende des Tanzes das Meer erreichten.
Blupp.
Ein totes Geräusch.
Blupp. Blupp.
Auf der Anhöhe tauchte Ray hinter einem der großen Felsblökke auf und strahlte wie ein Verrückter,
»‘s gibt Leben auf dem Mars«, rief er gellend und verschwand wieder, wie er gekommen war.
Noch ein paar gefahrvolle Augenblicke, und wir waren bei ihm; der Schweiß klebte uns das Haar an die Stirn wie eine Kappe. Jonathan sah nicht sehr gut aus.
»Was gibt’s denn so Weltbewegendes?« wollte er wissen.
»Schaut, was wir gefunden haben«, sagte Ray und ging voran durch die Felsblöcke.
Der erste Schock.
Sobald wir auf der Anhöhe angelangt waren, erblickten wir die andere Seite der Insel. Der gleiche eintönig düstere Strand erstreckte sich auch hier, und dann wieder Meer. Keine Bewohner, keine Boote, keine Anzeichen menschlichen Daseins. Die ganze Fläche war, großzügig geschätzt, allenfalls an die achthundert Meter breit: kaum der Rücken eines Wals.
Aber etwas Leben gab es schon hier; das war der zweite Schock.
Im schützenden Steinkreis der großen, kahlen Blöcke, der die Insel krönte, befand sich ein eingezäuntes Areal. Die Pfosten vermoderten in der Salzluft, aber um sie schlang und zwischen ihnen spannte sich ein verrostetes Stacheldrahtgewirr und machte eine primitive Hürde aus dem Ganzen. Innerhalb dieser Hürde wuchs an einer Stelle rauhes Gras, und auf diesem armseligen Rasenstück standen drei Schafe. Und Angela .
Sie stand in der Strafkolonie, streichelte einen der Insassen und säuselte ihm ins kahle Gesicht.
»Schafe«, sagte sie triumphierend.
Jonathan kam mir mit seiner hingeschnauzten Bemerkung zuvor: »Ja, und?«
»Ist doch merkwürdig, oder?« sagte Ray. »Drei Schafe, mitten in so ‘ner schnuckeligen Gegend wie dieser hier?«
»Ich finde, sie sehen nicht gesund aus«, sagte Angela.
Sie hatte recht. Das Ausgeliefertsein an die Elemente hatte die Tiere arg mitgenommen: Ihre Augen waren klebrig vor Eiter; das Fell hing ihnen in knotigen Klumpen vom Balg und legte fliegende Flanken frei. Ein Schaf war am Stacheldraht zusammengebrochen und schien außerstande, sich aus eigenen Kräften wieder aufzurichten, entweder war es zu geschwächt oder zu krank.
»Grausam ist das«, sagte Angela.
Ich mußte ihr zustimmen: Es schien eindeutig sadistisch, diese Geschöpfe mit nichts sonst als ein paar Grashalmen zum Daraufherumkauen und einer zerbeulten Blechwanne abgestandenen Wassers zum Durstlöschen gefangenzuhalten.
»Doch sonderbar, nicht?« sagte Ray.
»Ich hab’ mich in den Fuß geschnitten.« Jonathan hockte ganz oben auf einem der flacheren Felsblöcke und inspizierte die Sohle seines rechten Fußes.
»Sind Glasscherben auf dem Strand«, sagte ich und tauschte einen leeren Starrblick mit einem der Schafe.
»Sie verziehen keine Miene«, sagte Ray. »Mutter Naturs harte Kerle.«
Seltsamerweise sahen die Tiere in Anbetracht ihrer Verfassung gar nicht so unglücklich aus. Ihr starrer Blick hatte etwas Philosophisches. Ihre Augen sagten: Ich bin bloß ein Schaf, ich erwarte nicht, daß du mich magst, für mich sorgst, mich beschützt, es sei denn deinem Magen zuliebe. Es gab kein verärgertes Blöken, kein frustriertes Stampfen mit dem Huf.
Bloß drei graue Schafe, die aufs Sterben warteten.
Ray hatte das In teresse an der Geschichte verloren. Er kletterte wieder zum Strand hinunter und kickte dabei eine Konservendose vor sich her. Sie schepperte und hüpfte, und sie erinnerte mich an die Steine.
»Wir sollten sie freilassen«, sagte Angela.
Ich ging nicht darauf ein. Was bedeutete Freiheit an einem Ort wie diesem? Sie blieb hartnäckig: »Findest du nicht auch?«
»Nein.«
»Sie werden eingehn.«
»Gibt bestimmt einen Grund, weshalb sie hier sind.«
»Aber sie werden eingehen.«
»Und wenn wir sie rauslassen, gehn sie am Strand ein. Sie finden weit und breit kein Futter.«
»Wir füttern sie.«
»Mit Toastschnitten und Gin«, schlug Jonathan vor, der sich einen schmalen Glassplitter aus der Fußsohle zupfte.
»Wir
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