Das 3. Buch Des Blutes - 3
Wangen, wie eine Kriegsbemalung. Gavin konnte seinen Abscheu nicht verbergen.
»Ist er ein solcher Verlust?« wollte das Bildnis wissen.
Die Antwort war natürlich nein. Es war überhaupt kein Verlust, daß Preetorius tot war, kein Verlust, daß irgendein drogenbenebeltes Schwanzlutscherbubi etwas Blut und Schlaf geopfert hatte, weil dieses bemalte Wunder Nährstoff für sein Wachstum brauchte. Jeden Tag gab es schlimmere Vorfälle als diesen, irgendwo, gewaltige Greuel. Und doch …
»Du kannnst es mir nicht verzeihen.« Das Bildnis soufflierte ihm das Stichwort. »Es ist dir wesensfremd, nicht? Mir auch bald. Ich werde mein Leben als Kinderschänder ablehnen, weil ich dann mit deinen Augen sehe, deine Menschennatur teile …« Es stand auf, mit noch immer ungelenken Bewegungen.
»In der Zwischenzeit muß ich mich benehmen, wie ich es für richtig halte.«
Auf seiner Wange, dort wo Preetorius’ Blut verschmiert worden war, schimmerte die Haut bereits wächserner, nicht mehr ganz so wie bemaltes Holz.
»Ich bin ein Ding, für das die Bezeichnung fehlt«, erklärte es.
»Ich bin eine Wunde in der Seite der Welt. Aber ich bin auch jener ideale Fremde, um den du als Kind immer gebetet hast daß er kommt und dich nimmt, dich eine Schönheit nennt, dich nackt mit sich fortführt von der Straße, und durchs Himmels fenster. Das bin ich doch, oder? Oder?«
Woher kannte es die Träume seiner Kindheit? Wie hatte es dieses ganz persönliche Symbol erraten können: emporgehoben zu werden aus einer Straße voller Leid in ein Haus, das der Himmel war?
»Weil ich du selber bin«, sagte es als Antwort auf die unausgesprochene Frage, »mit der Anlage zur Vollkommenheit ausgestattet. «
Gavin deutete mit einer Geste auf die Leichen. »Du kannst nicht ich sein. So etwas hätte ich nie getan.« Es kam ihm undankbar vor, das Bildnis wegen seines Eingreifens zu verdammen, aber an dem Punkt war nicht zu rütteln.
»Wirklich nicht?« sagte der andere. »Ich denke schon.«
Gavin hörte Preetorius’ Stimme in seinem Ohr. »Ein neuer Zuschnitt für dein Gesicht.« Spürte wieder das Messer an seinem Kinn, den Brechreiz, die Hilflosigkeit. Selbstverständlich hätte er es getan, ein dutzendmal hintereinander hätte er es getan und es nur gerecht genannt.
Es brauchte seine Annäherung nicht zu hören, sie war offenkundig.
»Ich such’ dich schon wieder auf«, sagte das gemalte Gesicht.
»Inzwischen würde ich - wenn ich du wäre -« es lachte, »hier verschwinden.«
Einen Herzschlag lang versenkte Gavin den Blick in den seines Gegenübers, um eventuelle Zweifel zu entdecken, und machte sich dann auf den Weg Richtung Straße.
»Nicht da lang! Hier!« Es deutete auf eine Tür in der Mauer, fast verborgen hinter verrottenden Abfallsäcken. Auf die Weise war es so schnell, so geräuschlos aufgetaucht. »Umgeh die Hauptstraßen und paß auf, daß dich niemand sieht. Ich find’
dich wieder, wenn ich soweit bin.«
Gavin brauchte keine weitere Ermutigung, um abzuhauen.
Welche Erklärungen es auch für die nächtlichen Ereignisse geben mochte, die Taten waren auf alle Fälle begangen worden.
Jetzt war nicht der Zeitpunkt, Fragen zu stellen.
Er schlüpfte durch den Eingang in der Mauer, ohne sich noch einmal umzusehen - aber was er hören konnte, reichte, um ihm den Magen umzudrehen. Das dumpfe Aufplatschen von Flüssigkeit auf dem Boden, das lustvolle Gestöhn des Böse-Wichts: Die Geräusche reichten Gavin, um sich seine Toilette lebhaft vorstellen zu können.
Nichts von der vorigen Nacht ergab am nächsten Morgen noch irgendeinen Sinn. Es gab keine plötzliche Einsicht in die Beschaffenheit des Wachtraums, den er geträumt hatte. Es gab nur eine Reihe nackter Tatsachen.
Im Spiegel: die Tatsache des Schnitts am Unterkiefer, inzwischen verklebt und schmerzhafter als sein verfaulter Zahn.
In den Zeitungen: die Berichte über den Fund der Leichen zweier bekannter Krimineller im Covent-Garden-Viertel, Opfer eines heimtückischen Mordes, oder, mit den Worten der Polizei, eines »Unterweltgemetzels«.
In seinem Kopf: das unabwendbare Wissen, daß man ihm früher oder später auf die Spur käme. Irgend jemand hatte ihn sicher zusammen mit Preetorius gesehen und würde vor der Polizei alles ausplaudern. Vielleicht sogar Christian, falls er so ein Typ war, und schwups wären sie da, vor seiner Tür, mit Handschellen und Haftbefehl. Was könnte er ihnen schon sagen, als Antwort auf ihre Beschuldigungen? Daß der Mann, der es getan
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