Das 3. Buch Des Blutes - 3
torkelte aus dem Handgemenge auf ihn zu - Preetorius, Tränen im Gesicht, Augen wie Golfbälle.
Weiter hinter ihm torkelte Christian Richtung Straße.
Preetorius folgte ihm nicht. Wieso?
Sein Mund öffnete sich; ein elastischer Speichelfaden, auf dem sich Perlen reihten, hing ihm von der Unterlippe herab.
»Hilf mir«, flehte er, als ob sein Leben in Gavins Gewalt wäre.
Eine einzelne große Hand streckte sich empor, um einen Tropfen Erbarmen aus der Luft zu pressen, aber statt dessen erfolgte die abrupte Attacke eines zweiten Arms, der ihm über die Schulter langte und eine Waffe, eine grobe Klinge, in den Mund des Schwarzen stieß. Einen Moment lang gurgelte er damit, wobei sein Schlund sich ihrer Schneide, ihrer Breite anzupassen versuchte, bis der Angreifer die Klinge zurück und nach oben zog und Preetorius dabei am Hals festhielt, damit dieser von der Wucht des Streichs nicht umgeworfen würde.
Das tiefbestürzte Gesicht teilte sich, und aus Preetorius’ Innerem strahlte Hitze ab und hüllte Gavin in eine Wärmewolke.
Die Waffe traf auf dem Sackgassenboden auf, ein dumpfes Klirren. Gavin schaute flüchtig hin: ein kurzes Schwert mit breiter Klinge. Sein Blick wanderte zurück zu dem Toten.
Preetorius stand aufrecht vor ihm, jetzt nur noch vom Arm seines Henkers gestützt. Sein sprudelnder Kopf fiel nach vorn, und der Henker nahm die Verbeugung als ein Zeichen, ließ Preetorius’ Körper Gavin fein säuberlich vor die Füße fallen.
Gavin stand seinem Retter, den die Leiche nicht mehr verdeckte, von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Er brauchte nur einen Moment, um diese groben Züge einzuordnen: die verschreckten, leblosen Augen, die klaffende Spalte des Mundes, die Henkelohren. Es war Reynolds’ Statue.
Grinsend entblößte sie Zähne, zu klein für ihren Kopf. Milchzähne, die vor den zweiten erst noch ausfallen mußten. Dennoch hatten sich die Strukturen ihrer Erscheinung etwas verfeinert, das konnte er selbst in dieser Düsternis erkennen. Die Stirn schien sich weicher zu runden, die Gesichtspartien waren insgesamt besser aufeinander abgestimmt. Sie blieb eine bemalte Puppe, aber es war eine Puppe mit Ambitionen.
Die Statue machte eine steife Verbeugung, wobei ihre Gelenke unverkennbar knarrten, und siedendheiß wurde sich Gavin der Unsinnigkeit, der absoluten Unsinnigkeit der gegenwärtigen Situation bewußt. Die Figur verbeugte sich, verflucht, sie lächelte, sie mordete - und doch konnte sie unmöglich am Leben sein, oder? Später würde er es anzweifeln, das gelobte er sich. Später würde er tausend Gründe finden, die Wirklichkeit da vor sich nicht zu akzeptieren, würde seinem blutleeren Hirn, seiner Verwirrung, seiner panischen Angst die Schuld geben.
Auf die eine oder andere Art würde er sich aus dieser phantastischen Vision herausargumentieren, und schließlich wäre es so, als hätte es sie nie gegeben.
Wenn er bloß ein paar Minuten länger mit ihr leben könnte.
Die Vision streckte die Hand aus und berührte Gavin leicht am Kiefer, fuhr mit ihren grob geschnitzten Fingern die Ränder der Wunde entlang, die ihm Preetorius zugefügt hatte. Ein Ring funkelte auf an ihrem kleinen Finger - ein Ring, der identisch war mit dem seinen.
»Wir werden eine Narbe bekommen«, sagte sie.
Gavin kannte ihre Stimme.
»Ach je - schade«, sagte sie. Sie sprach mit seiner Stimme.
»Trotzdem, es könnte schlimmer sein.«
Seine Stimme. Gott, seine, seine, seine. Gavin schüttelte den Kopf.
»Doch«, sagte sie und begriff, daß er begriffen hatte.
»Nicht ich.«
»Doch.«
»Weshalb?«
Sie übertrug die Berührung von Gavins Unterkiefer auf ihren eigenen, bestimmte dabei den Platz, an dem die Wunde sich befinden sollte, und kaum machte sie die Geste, als sich schon ihre Oberfläche öffnete und eine Narbe an der Stelle wuchs.
Kein Blut quoll hervor - sie hatte kein Blut.
Doch war das nicht seine eigene, ebenmäßige Stirn, der sie nacheiferte, die durchdringenden Augen, wurden sie nicht die seinen, und der bildschöne Mund?
»Der Junge?« fragte Gavin und fügte die passenden Stücke zusammen.
»Ach, der Junge …« Sie warf ihren unfertigen Blick zum Himmel. »Ein solcher Schatz. Und wie er gefaucht hat.«
»Du hast dich in seinem Blut gewaschen?«
»Ich brauche es.« Sie kniete vor dem Körper von Preetorius nieder und legte ihre Finger in den zerspaltenen Kopf. »Dieses Blut ist alt, aber es erfüllt seinen Zweck. Der Junge war besser.«
Sie schmierte Preetorius’ Blut auf ihre
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