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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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dem Fußpfad vom oberen Ende her zu nähern, würde, so Brendans Einwand, mehr auffallen. Auf der Hornsey Lane fuhren öfter Polizeistreifen, unter anderem, weil die Brücke für Depressive aus der Gegend unwiderstehlich war. Für den dezidierten Selbstmörder hatte der Schauplatz entscheidende Vorteile: Sollte einen der Sturz aus vierundzwanzig Metern Höhe nicht umbringen, so erledigten das die schweren nach Süden rasenden Lastwagen auf der Archway Road mit Sicherheit.
    Brendan war diese Nacht in einem neuen Rausch, froh, die anderen anzuführen, statt hinter Red die zweite Geige zu spielen. Er gab nur überdrehtes Gebrabbel von sich, hauptsächlich über Frauen. Karney ließ Catso den Ehrenplatz neben Brendan und blieb ein paar Schritte zurück, die Hand in der Jackentasche, wo die Knoten warteten. In den letzten paar Stunden hatte die Schnur begonnen, Karneys von so vielen Nächten ermüdeten Augen etwas vorzugaukeln; gelegentlich schien sie sich sogar in seiner Hand zu bewegen, als ob sie sich von innen heraus lockern würde. Eben, als sie in den Fußpfad einbogen, schien ihm, als könnte er spüren, wie sie sich an seiner Handfläche rieb.
    »He, Mann… schau dir das an.« Catso deutete den Fußpfad hinauf. Der ganze Weg lag in Dunkelheit. »Jemand hat die Lampe gekillt.«
    »Red gefälligst leise«, sagte Brendan und ging den Weg hinauf voran. Es war nicht völlig finster; ein bißchen Licht drang von der Archway Road herauf. Aber da dichtes Gebüsch die Strahlen filterte, war der Pfad doch praktisch in Nacht getaucht. Karney konnte kaum die Hand vor dem Gesicht sehen. Aber die Dunkelheit würde vermutlich sämtliche Fußgänger, ausgenommen die allersichersten, davon abbringen, den Pfad zu benutzen. Als die drei auf etwas mehr als halber Höhe angelangt waren, hielt Brendan die Miniparty an.
    »Das ist das Haus«, verkündete er.
    »Bist du sicher?« fragte Catso.
    »Hab’ die Gärten gezählt. Der da isses.«
    Der Zaun, der den hinteren Teil des Gartens einfaßte, befand sich in ausgesprochen baufälligem Zustand. Nur eine kurze Gewaltanwendung von Seiten Brendans war nötig – das Geräusch wurde vom Donnern eines spätnächtlichen Schwerlastzugs drunten auf dem Asphalt überdeckt –, um ihnen mühelosen Zugang zu verschaffen. Brendan kämpfte sich durch den Wildwuchs des Brombeerdickichts am Gartenende; Catso folgte ihm und fluchte, als er sich an den Domen riß.
    Brendan brachte ihn mit einem zweiten Fluch zum Schweigen, drehte sich dann zu Karney um.
    »Wir gehn rein. Wir pfeifen zweimal, wenn wir wieder rauskommen. Haste die Signale noch im Kopf?«
    »Er ist doch kein Trottel. Oder, Karney? Der macht das schon. Gehn wir jetz’ oder nicht?«
    Brendan sagte nichts mehr. Die beiden Gestalten bahnten sich ihren Weg durch die Brombeersträucher und drangen in den eigentlichen Garten vor. Sobald sie auf dem Rasen und aus dem Dunkel der Bäume heraus waren, zeichneten sie sich als graue Silhouetten vor dem Haus ab. Karney sah zu, wie sie zum Hintereingang pirschten, hörte ein Geräusch von der Hintertür, als Catso – der weitaus geschicktere der beiden – das Schloß aufbrach; dann schlüpfte das Duo ins Innere des Hauses. Er war allein.
    Nicht völlig allein. Er hatte immer noch seine Gefährten auf der Schnur. Seine Augen, die sich allmählich an die natriumdampferhellte Düsternis gewöhnten, checkten den Pfad in beide Richtungen. Kein Fußgänger weit und breit. Zufrieden zog er die Knoten aus seiner Tasche. Seine Hände schwebten als Gespenster vor ihm; er erkannte die Knoten kaum. Aber beinah unabhängig von seiner bewußten Lenkung nahmen seine Finger ihre Untersuchung erneut auf, und so merkwürdig es auch anmutete, in wenigen Sekunden blinden Herumfingerns kam er der Lösung des Problems näher als in den vielen Stunden vorher. Seiner Augen beraubt, verließ er sich ganz auf seinen Instinkt, und das wirkte Wunder. Wieder hatte er die befremdliche Empfindung einer eigenmächtigen Dynamik in dem Knoten, als mache sich dieser immer mehr zum Vollstrecker seiner eigenen Entwirrung. Vom Vorgeschmack des Sieges angestachelt, glitten Karneys Finger mit inspirierter Präzision über den Knoten und schienen dabei genau die zur Aufdröselung geeigneten Fäden aufzuspüren.
    Flüchtig inspizierte er nochmals den Fußpfad, um sicherzugehen, daß er nach wie vor leer war, blickte dann wieder zum Haus hinüber. Die Tür stand immer noch offen; kein Zeichen jedoch von Brendan oder Catso. Karney wandte seine

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