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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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weiter.
    »Red mit mir, John!« sagte sie zu ihm.
    »Wozu?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ach, nichts.« Haarsträhnen klebten leicht an ihrer schweißkalten Stirn; die Hitze in der Luft war trotz des starken Regens nicht aufgestiegen. »Ich hasse den Regen«, sagte sie.
    »Er dauert nicht die ganze Nacht«, entgegnete Gyer und fuhr mit einer Hand durch sein dichtes graues Haar. Eine Geste, die er auf der Tribüne zur Interpunktion benutzte, wenn er zwischen einer eben gemachten Aussage und der nächsten eine Pause einlegte. Sie kannte seine Rhetorik so genau, sowohl die körperliche wie die sprachliche. Manchmal dachte sie, sie wisse alles, was es über ihn zu wissen gab; daß er ihr einfach nichts mehr zu sagen hatte, das sie ernstlich hätte wissen wollen. Aber schließlich beruhte der Endruck wahrscheinlich auf Gegenseitigkeit: Sie hatten längst aufgehört, eine als solche erkennbare Ehe zu führen. Heute nacht, wie jede Nacht auf dieser Tour, würden sie in getrennten Berten liegen, und er würde diesen tiefen, unbeschwerten Schlaf schlafen, den er ohne weiteres fand, während sie heimlich ein oder zwei Tabletten schluckte, um sich ein wenig willkommene Entspannung zu verschaffen.
    »Der Schlaf«, sagte er oft, »gibt mir Gelegenheit zur Zwiesprache mit dem Herrn.« Er glaubte an die Wirksamkeit von Träumen, obwohl er sich darüber ausschwieg, was er in ihnen sah. Zu gegebener Zeit würde er die Herrlichkeit seiner Visionen enthüllen, daran bestand für sie kein Zweifel, aber inzwischen schlief er allein und behielt seine Absichten für sich, überließ sie jedwedem geheimen Kummer, den sie eventuell durchmachte. Verbittert zu sein lag nahe, aber sie kämpfte gegen die Versuchung an. Sein Sendungsauftrag war offenkundig; er wurde ihm abverlangt vom Herrn; und wenn John hart gegen sie war, so war er noch härter gegen sich selbst, unterwarf sich einer Lebensführung, die geringere Männer zerstört hätte, und kasteite sich noch für die kleinste Anwandlung von Schwäche.
    Endlich tauchte Earl aus dem Rezeptionsbüro auf und legte die Strecke zum Wagen im Laufschritt zurück. Er hatte drei Schlüssel dabei.
    »Zimmer sieben und acht«, sagte er atemlos, während ihm der Regen von Stirn und Nase tropfte. »Ich hab’ auch den Schlüssel zur Verbindungstür.«
    »Schön«, sagte Gyer.

    »Waren die letzten zwei, die noch frei waren«, sagte er. »Soll ich den Wagen rüberfahren? Die Zimmer sind im andern Gebäude.«
    Die Ausstattung der zwei Zimmer war ein Loblied auf die Abgeschmacktheit. In Zellen wie diesen hatten sie schon hundert-, ach was: tausendmal übernachtet, Identisch noch bis auf die widerlich orangen Bettbezüge und das lichtgebleichte Fotoposter des Grand Canyon an der blaßgrünen Wand. John war wie eh und je unempfindlich gegenüber seiner Umgebung, aber in Virginias Augen waren diese Zimmer ein mustergültiges Beispiel für das Fegefeuer. Seelenlose Kabuffs, in denen nie etwas Belangvolles passierte noch je passieren würde. Nichts war anders an diesen Zimmern, nichts, wodurch sie sich von allen bisherigen unterschieden hätten, aber bei ihr war etwas anders heute nacht.
    Dieses Entfremdungsgefühl hatten nicht Tornado-Nachrichten verursacht. Sie sah Earl zu, wie er mit den Taschen herumhantierte und kam sich dabei merkwürdig sich selbst entrückt vor, als sehe sie dem, was um sie vorging, durch einen Schleier zu, der dichter war als der draußen vor der Tür fallende warme Regen. Als John sie leise wissen ließ, welches in dieser Nacht ihr Bett sei, legte sie sich hin und versuchte, diese Empfindung des Aus-sich-hinaus-Versetztseins unter Kontrolle zu bekommen, indem sie sich entspannte. Das war leichter gesagt als getan, in einem nahegelegenen Zimmer hatte jemand den Fernseher an, und durch die papierdünnen Wände verstand man vom Nachtfilm jedes Wort.
    »Bist du okay?«
    Earl, immer um ihr Wohl bemüht, schaute zu ihr hinunter. Er sah so erschöpft aus, wie sie sich fühlte. Seine Gesichtsfarbe, sonnenverbrannt vom Herumstehen auf den Open-air-Kundgebungen, spielte statt der üblichen gesunden Brauntönung eher ins Gelbliche. Zudem war er leicht übergewichtig, obwohl seine Körperfülle durchaus mit seinen breiten, etwas störrischen Gesichtszügen harmonierte.
    »Ja, gehl mir bestens, danke«, sagte sie. »’n bißchen durstig.«
    »Mal sehn, ob ich was Trinkbares für dich kriegen kann, ’n Cola-Automaten wer’n sie schon haben.«
    Sie nickte und sah ihm dabei kurz in die Augen.

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