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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihr.
    Während sie auf der Schwelle standen und den Blick durch das Zimmer schweifen ließen, in dem sich der Schlußakt ihrer fatalen Farce abgespielt hatte, hätte sie gern gewußt, ob ihm wohl der Schuß sehr weh getan hatte. Ich muß ihn heute nacht danach fragen, sollte sich die Gelegenheit dazu bieten, dachte sie.
    Zuvor, ab Earl die Zimmer bestellt hatte, war im Rezeptionsbüro eine junge Frau mit einem unscheinbaren, aber netten Gesicht gewesen. Jetzt war sie verschwunden und durch einen Mann um die Sechzig ersetzt, der einen melierten Dreitagebart hatte und ein schweißfleckiges Hemd trug. Er blickte, als Earl eintrat, von einer nasennahen Durchsicht der gestrigen Pampa Daily News auf.
    »Ja bitte?«
    »Könnt’ man vielleicht etwas Eiswasser haben?« erkundigte sich Earl.
    Der Mann bellte heiser über die Schulter: »Laura-May? Bist du da drin?«
    Aus der Türöffnung dahinter kam das Gedröhn des Nachtfilms – Schüsse, Schreie, das Brüllen einer entlaufenen Bestie-, und dann Laura-Mays Antwort:
    »Was willst’n, Pa?«
    »Da will einer Zimmerservice«, bellte wieder Laura-Mays Vater, nicht ohne eine Spur Ironie in der Stimme. »Kommst bitte raus hier und bedienst ihn?«
    Keine Antwort, bloß noch mehr Schreie. Sie machten Earl ganz kribbelig. Der Moteldirektor bückte flüchtig zu ihm auf.
    Eines seiner Augen war vom grauen Star getrübt.
    »Gehör’n wohl zu dem Wanderprediger?« sagte er.
    »Ja… woher wußten Sie, daß es…«
    »Laura-May hat ihn erkannt. Sein Bild in der Zeitung gesehn.«

    »Ach ja?«
    »Macht ihr keiner was vor, meiner Kleinen.«
    Wie aufs Stichwort tauchte Laura-May aus dem Zimmer hinter dem Rezeptionsbüro auf. Als der Blick ihrer braunen Augen auf Earl fiel, wurde sie merklich aufgekratzter.
    »Oh…«, sagte sie, wobei ein Lächeln ihre Gesichtszüge belebte, »was kann ich für Sie tun, Chef?« Der Satz schien in Verbindung mit dem Lächeln mehr als nur höfliches Interesse an Earl zu signalisieren; oder war das nur sein Wunschdenken?
    Bis auf eine Dame der Nacht, die er in Pomca City, Oklahoma, kennengelernt hatte, war sein Sex-Leben seit drei Monaten gleich Null. Er versuchte sein Glück und erwiderte Laura-Mays Lächeln. Obwohl sie mindestens fünfunddreißig war, war ihre Art, sich zu geben, merkwürdig mädchenhaft; mit fast einschüchternder Direktheit sah sie ihm in die Augen. Earl hielt ihrem Blick stand und fing an zu glauben, daß er mit seiner ersten Einschätzung nicht weit danebengelegen habe.
    »Eiswasser«, sagte er. »Haben Sie vielleicht so was? Mrs.
    Gyer geht’s nicht besonders.«
    Laura-May nickte. »Ich hol’ weiches«, sagte sie und trödelte einen Augenblick in der Tür, ehe sie in das Fernsehzimmer zurückging. Der Lärm des Films war abgeflaut – eine ruhigere Szene vielleicht, ehe die Bestie erneut auftauchte –, und in der plötzlich eingetretenen Stille konnte Earl den Regen hören, der draußen heruntertrommelte und die Erde zu Schlamm verwandelte.
    »Ganz schöner Gullyräumer heute nacht, was?« bemerkte der Moteldirektor. »Der hört so schnell nicht auf, da fällt eure Kundgebung morgen ins Wasser.«
    »Die Leute kommen bei jedem Wetter«, sagte Earl. »John Gyer ist eine große Attraktion.«
    Der Mann schritt eine Grimasse. »Gegen ’nen Tornado kann auch er nich’ an«, sagte er und schwelgte zweifellos in der Rolle des Unheilverkünders. »Hier is’, schätz’ ich, demnächst einer fällig.«
    »Wirklich?«
    »Vorvoriges Jahre hat der Wind ’s Dach von der Schule gefegt. Zack, einfach runtergelupft.«
    Laura-May erschien wieder in der Türöffnung mit einen Tablett, auf dem ein Krug und vier Gläser standen. Eis klimperte gegen die Krugwandung.
    »Wovon red’st du grade, Pa?« fragte sie.
    »Tornado.«
    »Is’ nicht heiß genug«, verkündete sie mit beiläufiger Autorität. Ihr Vater grunzte seinen Widerspruch, äußerte aber kein Gegenargument. Laura-May ging mit dem Tablett zu Earl hinüber; aber als er Anstalten machte, es ihr abzunehmen, sagte sie: »Ich bring’ es selber rüber. Sie gehn voran!«
    Er hatte nichts einzuwenden. Dadurch hätten sie ein bißchen Zeit, um auf dem Weg zum Zimmer der Gyers Nettigkeiten auszutauschen; vielleicht lag ihr derselbe Gedanke im Sinn.
    Entweder das. oder sie wollte sich den Evangelisten näher ansehen.
    Schweigend gingen sie bis ans Ende des Laufgangs, der den Rezeptionsbüroblock entlangführte; dort blieben sie stehen.
    Vor ihnen lagen bis zum nächsten Gebäude zwanzig Meter

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