Das 4. Buch des Blutes - 4
Buck. Es gefiel ihm, wie sie zitterte, während sie die Tränen zurückzuhalten versuchte. Sie sah aus, als habe sie dringend etwas von der alten Geigerei nötig, die arme Virginia; also das würde ihr einschlafen helfen.
»Ich sag’ dir, ich kann Dinge sehen«, sagte sie zu ihrem Mann.
»Die ich nicht sehen kann?« antwortete Gyer ungläubig
»Willst du das damit sagen? Daß du Visionen hast, für die wir anderen blind sind?«
»Ich bild’ mir nichts darauf ein. verdammt«, gellte sie ihn an, erbost über diese Verdrehung.
»Komm da weg, Buck«, sagte Sadie. »Wir bringen sie durcheinander. Sie weiß, daß wir da sind.«
»Na, und wenn schon?« entgegnete Buck. »Ihr Stinkgatte glaubt ihr nicht. Schau ihn dir an! Er glaubt, sie ist verrückt.«
»Du, wir machen sie tatsächlich noch verrückt, wenn wir hier rumstolzieren«, sagte Sadie. »Seien wir wenigstens leise, ja?«
Buck sah sich nach Sadie um und rang sich den schmutzigen Rest eines Lächelns ab. »Tust was dazu, daß es sich für mich lohnt?« sagte er schäbig. »Ich halt’ mich abseits, wenn nur du und ich ’n bißchen Spaß haben können.«
Sadie zögerte einen Moment, ehe sie antwortete. Es war wahrscheinlich verkehrt, Bucks Avancen zurückzuweisen; emotional war der Mann ein Kleinkind, und das schon immer.
Sex war für ihn eine der wenigen Möglichkeiten, sich selber einzubringen. »In Ordnung, Buck«, sagte sie. »Ich mach’ mich bloß noch frisch und richt’ mir die Haare.«
in Zimmer sieben herrschte offenbar ein unguter Waffenstillstand.
»Ich geh’ jetzt unter die Dusche, Virginia«, sagte Gyer. »Und dir rat’ ich, dich hinzulegen und aufzuhören, einen Narren aus dir zu machen. Brauchst nur vor anderen Leuten derartiges Zeug zu reden, und du setzt meinen Kreuzzug aufs Spiel, hörst du?«
Virginia schaute ihren Mann an; ihre
Wahrnehmungsfähigkeit war klarer als je zuvor. »O ja«, sagte sie ohne eine Spur Gefühl in der Stimme, »ich hör’ dich.«
Er schien zufrieden. Er streifte seine Jacke ab und ging ins Bad; seine Bibel nahm er mit. Sie hörte, wie er die Tür schloß und stieß dann einen langen, beklommenen Seufzer aus. Es würde Vorwürfe hageln wegen der kleinen
Meinungsverschiedenheit, die sie gerade gehabt hatten; noch den allerletzten Tropfen Zerknirschung würde er in den kommenden Tagen aus ihr herausquetschen. Sie sah sich flüchtig nach der Verbindungstür um. Dort zeigte sich nichts mehr von jenen Schatten in der Luft; nicht das geringste Flüstern verlorener Stimmen. Vielleicht, aber nur vielleicht hatte sie sich das alles eingebildet. Sie öffnete ihre Tasche und kramte nach den darin versteckten Pillenfläschchen. Die Badtür im Auge behaltend, stellte sie einen Cocktail aus drei verschiedenen Sorten zusammen und kippte ihn mit einem Schluck Eiswasser hinunter. Genaugenommen war das Eis im Krug längst geschmolzen. Das Wasser, das sie in sich hineinschüttete, war lauwarm wie der Regen, der draußen unablässig fiel. Bis zum Morgen würde vielleicht die ganze Welt weggeschwemmt sein. Und wenn, träumte sie versonnen, dann würde sie sich nicht darüber grämen.
»Ich hab’ dich doch gebeten, den Mord nicht zu erwähnen«, sagte Earl zu Laura-May, »Mrs. Gyer kann die Art Gesprächsstoff nicht verkraften.«
»Es werden doch laufend Menschen umgebracht«, antwortete Laura-May ungerührt. »Kann nicht mit ’nem Eimer überm Kopf rumlaufen.«
Earl sagte nichts. Sie waren gerade am Ende des Laufgangs angelangt. Der Spurt über den freien Platz zum anderen Gebäude stand bevor. Laura-May machte eine halbe Drehung, um Earl ins Gesicht zu sehen. Sie war einen halben Kopf kleiner als er. Ihre Augen, hinauf gewandt zu den seinen, waren groß und leuchtend. So verärgert Earl war, er konnte nicht umhin zu bemerken, wie üppig ihr Mund war, wie ihre Lippen glänzten.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Aber klar, weiß ich. Ich bin nur gereizt.«
»Das macht die Hitze«, erwiderte sie. »Wie ich gesagt hab’: Setzt einem Gedanken in den Kopf; weißt schon.« Einen Moment lang schwankte ihr Blick; ein Anflug von Unsicherheit ging über ihr Gesicht. Earl konnte spüren, wie sein Nacken prickelte. Das war sein Stichwort, oder? Sie hatte es ihm unzweideutig zugespielt. Aber es fehlten ihm die Worte.
Schließlich war sie es, die sagte: »Mußt du jetzt gleich wieder zurückgehn?«
Er schluckte; seine Kehle war trocken. »Wüßte nicht, weshalb«, sagte er.
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