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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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»Ich mein’, ich möcht’ nicht zwischen sie geraten, wenn sie grade ’ne Aussprache haben.«
    »Dicke Luft?« fragte sie.
    »Glaube ja. Am besten lass’ ich sie’s in Ruhe irgendwie zu Ende bringen. Sie brauchen mich nicht.«
    Laura-May schaute von Earls Gesicht weg nach unten.
    »Also… ich schon«, hauchte sie, die Worte kaum hörbar über dem dumpfen Geprassel des Regens.
    Behutsam führte er die Hand an ihr Gesicht und berührte den Flaum ihrer Wange. Sie zitterte ganz, ganz leicht. Dann beugte er den Kopf, um sie zu küssen. Sie ließ ihn ihre Lippen mit den seinen streifen.
    »Warum gehn wir nicht auf mein Zimmer?« sagte sie an seinem Mund, »mir gefällt’s hier heraußen nicht.«
    »Und was ist mit deinem Papa?«
    »Der is’ mittlerweile stockbesoffen; das geht jede Nacht so.
    Du mußt nur schön leise sein. Dann kriegt er überhaupt nichts mit.«
    Earl war von diesem Plan nicht sehr begeistert. Mit Laura-May im Bett erwischt zu werden, war der Spaß nicht wert. Er war ein verheirateter Mann, auch wenn er Barbara seit drei Monaten nicht mehr gesehen hatte.
    Laura-May spürte seine Vorbehalte. »Laß es, wenn du nicht willst«, sagte sie.
    »Daran liegt’s nicht«, antwortete er.

    Als er zu ihr hinuntersah, leckte sie sich die Lippen. Es geschah völlig unbewußt, da war er sich sicher, aber damit war die Sache praktisch für ihn entschieden. In gewisser Hinsicht, obwohl er das zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, hatte alles Bevorstehende – die Farce, das Blutvergießen, die unvermeidliche Tragödie – Laura-May zum Angelpunkt, die sich mit solch beiläufiger Sinnlichkeit die Unterlippe leckte.
    »Ach Scheiße«, sagte er, »gegen dich kommt man einfach nicht an, weißt du das?«
    Er neigte sich zu ihr und küßte sie zum zweitenmal, während irgendwo drüben Richtung Skellytown die Wolken ein lautes Donnerrollen von sich gaben, wie ein Zirkustrommler vor irgendeinem besonders gefährlichen Trapezakt.
    In Zimmer sieben hatte Virginia schlimme Träume. Die Pillen hatten ihr keine sichere Zuflucht im Schlaf verschafft.
    Vielmehr war sie in einen heulenden Sturm geschleudert worden. In ihren Träumen klammerte sie sich an einen verkrüppelten Baum – ein armseliger Rettungsanker in einem solchen Mahlstrom –, während der Wind Rinder und Autos in die Luft warf und die halbe Welt in die pechschwarzen Wolken hinaufsaugte, die über ihrem Kopf kochten. Gerade als die glaubte, mutterseelenallein sterben zu müssen, sah sie ein paar Meter von sich entfernt zwei Gestalten, die in den blindmachenden, vom Wind aufgerührten Staubschleiern erschienen und wieder verschwanden. Ihre Gesichter konnte sie nicht sehen, also rief sie ihnen zu:
    »Wer seid ihr?«
    Nebenan hörte Sadie Virginia im Schlaf reden. Wovon die Frau wohl träumte? Sie bezwang jedoch die Versuchung, nach nebenan zu gehen und der Träumerin ins Ohr zu flüstern.
    Hinter Virginias Lidern tobte der Traum weiter. Obwohl sie den Fremden im Unwetter zurief, schienen sie sie nicht zu hören. Um nur ja nicht allein gelassen zu werden, verließ sie den Schutz des Baumes – letzterer wurde augenblicklich entwurzelt und fortgewirbelt – und kämpfte sich durch den beißenden Staub in Richtung der Fremden. Während sie sich näherte, ließ plötzlich der Wind nach und gab den Blick auf die Gestalten frei. Die eine war männlich, die andere weiblich: Beide waren bewaffnet. Als sie ihnen etwas zurief, um auf sich aufmerksam zu machen, attackierten sie sich gegenseitig und brachten einander tödliche Wunden in Hals und Rumpf bei.
    »Mord!« brüllte sie, als der Wind ihr Gesicht mit dem Blut der Kämpfenden bespritzte. »Um Himmels willen, bringt sie jemand auseinander! Mord!«
    Und plötzlich war sie wach. Ihr Herz klopfte, ab wolle es zerspringen. Hinter ihren Augen flatterte noch immer der Traum umher. Sie schüttelte den Kopf, um sich von den gräßlichen Bildern zu befreien, rückte dann schwer benommen zur Bettkante und stand auf. Ihr Kopf kam ihr so leicht vor, als könne er gleich davonschweben wie ein Luftballon. Sie brauchte etwas frische Luft. Selten in ihrem Leben hatte sie sich so sonderbar gefühlt. Es war, als verliere sie die dürftige Kontrolle über das, was real war; als gleite die greifbare Welt ihr durch die Finger. Sie ging zur Zimmertür hinüber. Im Bad konnte sie John laut sprechen hören: vor dem Spiegel, zweifellos, um seine Vortragsweise bis in jede Einzelheit zu perfektionieren. Sie trat auf den Laufgang hinaus.

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