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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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auf einen kostbaren Stein verwenden und betrachtete es prüfend, bevor sie es wieder an seinen auserwählten Platz legte.
    »Ach ja?« sagte Earl.
    »Aber sicher. Jeder. Und wenn’s nur ein Zündholz ist oder ein Tempotaschentuch mit Lippenstift dran. Wir hatten früher ein mexikanisches Mädchen, Ophelia, die die Zimmer saubermachte, als ich ein Kind war. Mit ihr hat’s angefangen; eigentlich als Spiel. Immer brachte sie mir etwas, das den Gästen gehörte, die abgereist waren. Als sie starb, machte ich die Sammlerei zu meiner eigenen Angelegenheit und bewahrte immer etwas auf. Zur Erinnerung.«
    Allmählich begriff Earl die abstruse Poesie des Exponate-Zimmers. In Laura-Mays hübschem Körper steckte der Ehrgeiz eines bedeutenden Museumsdirektors. Nur daß es bei ihr nicht um bloße Kunst ging; sie sammelte Souvenirs von privaterer Beschaffenheit, vergessene Zeichen von Menschen, die hier vorbeigekommen waren und die sie, höchstwahrscheinlich, nie wiedersehen würde.
    »Du hast alles gekennzeichnet«, bemerkte er.
    »Ja freilich«, antwortete sie. »Es hätte wenig Sinn, wenn ich nicht wüßte, zu wem es jeweils gehört, oder?«
    Earl vermutete: nein. »Unglaublich«, murmelte er ganz aufrichtig. Sie lächelte ihn an; er hatte fast den Eindruck, daß sie nur wenigen ihre Sammlung zeigte. Er fühlte sich seltsam geehrt, dies alles betrachten zu dürfen.
    »Ich hab’ ein paar echt erstklassige Stücke«, sagte sie und öffnete die mittlere Schublade des Toilettentischs, »Sachen, die ich nicht zum Anschaun aufstelle.«
    »Ah?« sagte er.
    Die Schublade, die sie öffnete, war mit Seidenpapier ausgelegt; es raschelte, als sie eine Auswahl von Sondererwerbungen ans Licht beförderte. Ein beflecktes Tempotaschentuch, gefunden unter dem Bett eines Hollywoodstars, der sechs Wochen nach seinem Motelaufenthalt tragisch umgekommen war. Eine Heroinnadel, achtlos liegengelassen von X; ein leeres Zündholzmäppchen, das sie bis zu einer Homosexuellenbar in Amarillo zurückverfolgt hatte, weggeworfen von Y. Die von ihr erwähnten Namen sagten Earl wenig oder nichts, aber er spielte das Spiel, wie sie es seinem Gefühl nach gespielt haben wollte, und ließ abwechselnd Ausrufe ungläubigen Staunens und sanftes Lachen hören. Ihr Vergnügen, durch seines angeregt, steigerte sich. Sie führte ihm sämtliche Exponate in der Tischschublade vor und gab bei jedem einzelnen eine Anekdote oder einen biographischen Einblick zum besten.
    Als sie fertig war, sagte sie: »Ich hab’ dir vorhin nicht die ganze Wahrheit gesagt, als ich behauptete, es hat alles als Spiel begonnen, mit Ophelia. In Wirklichkeit kam das erst später.«
    »Was war dann der Auslöser?« fragte er.
    Sie ging in die Hocke und schloß die unterste Schublade des Toilettentischs mit einem Schlüssel auf, den sie an einer Kette um den Hals trug. In dieser Schublade befand sich nur ein einziges Artefakt; das hob sie fast ehrfurchtsvoll heraus und stand dann auf, um es Earl zu zeigen.
    »Was ist das?«
    »Du hast mich nach dem Auslöser für die Sammlerei gefragt«, sagte sie. »Das ist er, ich hab’ ihn gefunden und ihn nie wieder hergegeben. Schau ihn ruhig an, wenn du magst.«
    Sie streckte ihm das Prunkstück hin, und er schlug das zusammengedrückte weiße Tuch auseinander, in das der Gegenstand eingewickelt war. Es war ein Schießeisen. Eine Smith and Wesson .38 in untadligem Zustand. Er brauchte nur einen Moment, um sich klarzumachen, welchem Motelgast dieses Stück Geschichte einmal gehört hatte.
    »Das Schießeisen, das Sadie Durning benutzte…« sagte er und nahm es in die Hand. »Hab’ ich recht?«
    »Ich fand es im Gestrüpp hinterm Motel, ehe die Polizei dazu kam, danach zu suchen. Es herrschte ein solches Durcheinander, weißt du. Keiner hat sich um mich gekümmert.
    Und natürlich hat sich tags darauf keiner danach umgesehn.«
    »Wieso das?«
    »Der fünfundfünfziger Tornado hat zugeschlagen gleich am nächsten Vormittag. Hat das Moteldach total runtergerissen; die Schule weggefegt. Es kamen Leute um in dem Jahr.
    Wochenlang gab’s Beerdigungen bei uns.«
    »Sie haben dich überhaupt nicht verhört?«
    »Ich war gut im Lügen«, antwortete sie mit keiner geringen Genugtuung.
    »Und du hast nie zugegeben, daß du es hast? All die Jahre?«
    Die Idee rief bei ihr einen Ausdruck leiser Verachtung hervor. »Sie hätten es mir wegnehmen können«, sagte sie.
    »Aber es ist ein Beweisstück.«
    »Sie haben sie sowieso hingerichtet, nicht?« antwortete

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