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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Gesicht, dachte Carnegie; die Versuchsperson –
    bisher noch ungenannt – war weder ein Adonis noch ein Quasimodo. An Stirnansatz und Schläfen wurde er schon etwas kahl, und sein dünnes, schmutzigblondes Haar reichte ihm knapp bis auf die Schultern.
    »Fühl’ mich bestens, Doktor Welles«, antwortete er dem Frager aus dem Off.
    »Ihnen ist überhaupt nicht heiß? Keine Schweißausbrüche?«
    »Eigentlich nicht«, antwortete das Versuchskaninchen, ein bißchen entschuldigend. »Ich fühl’ mich stinknormal.«
    Was andres bist du auch nicht, dachte Carnegie. Dann zu Boyle: »War’n Sie schon mit den Bändern bis zum Ende durch?«
    »Nein, Sir«, antwortete Boyle. »Ich dachte, Sie möchten sie zuerst sehen. Ich hab’ sie bloß bis zur Injektion abgespielt.«

    »Irgendwas Neues aus’m Hospital über Doktor Welles?«
    »Beim letzten Anruf war er noch immer im Koma.«
    Carnegie brummte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Bildschirmen zu. Nach dem Aktionsausbruch bei der Injektion verfielen die Bänder jetzt wieder in Nicht-Aktivität: die drei Kameras mit rundglänzendem Starrblick auf ihr kurzsichtiges Versuchsobjekt fixiert, die stumpfe Trägheit ab und zu durch eine Erkundigung von Welles, den Zustand der Versuchsperson betreffend, unterbrochen. Der blieb unverändert. Nach drei oder vier Minuten dieser ereignislosen Studie bekam sogar das gelegentliche Zwinkern des Mannes allmählich größere dramatische Bedeutung.
    »Die Handlung find’ ich eher schwach«, kommentierte der Techniker. Carnegie lachte; Boyle sah mißvergnügt drein.
    Zwei oder drei Minuten verstrichen auf ähnliche Weise.
    »Das sieht nicht besonders vielversprechend aus«, sagte Carnegie. »Spulen Sie’s im Schnellauf ab, ja?«
    Der Techniker wollte gerade gehorchen, als Boyle sagte:
    » Warten Sie. «
    Carnegie schaute flüchtig zu seiner Nummer Zwei hinüber, ärgerlich über dessen Einmischung, und dann wieder auf die Bildschirme. Tatsächlich ging etwas vor sich: Die faden Gesichtszüge der Versuchsperson hatten sich leicht verändert.
    Der Mann hatte angefangen, vor sich hin zu lächeln, und sank tief in seinen Sessel, als tauche er mit seinem schlaksigen Körper in einem warmen Bad unter. Seine Augen, die bislang kaum mehr als umgängliche Teilnahmslosigkeit ausgedrückt hatten, flatterten jetzt langsam zu, um sich dann, sobald sie zu waren, wieder zu öffnen. Und nun lag in ihrem Blick eine vorher nicht sichtbare Eigenschaft: ein Hunger, der aus dem Bildschirm hinaus in die Ruhe des Inspektorenbüros zu greifen schien.

    Carnegie stellte seine Schokoladentasse hin und näherte sich den Monitoren. Währenddessen erhob sich auch der Mann aus seinem Sessel und ging auf die Glasscheibe der Kammer zu, kam dabei außer Reichweite von zwei der Kameras. Die dritte zeichnete jedoch sein Verhalten weiter auf: Er drückte jetzt sein Gesicht an das Fenster, und einen Moment lang standen sich die beiden Männer, durch Schichten aus Glas und Zeit getrennt, gegenüber, begegneten sich scheinbar ihre Blicke.
    Der Ausdruck im Gesicht der Versuchsperson war jetzt besorgniserregend, der Hunger überwand rapide jegliche normale Beherrschung. Mit brennenden Augen drückte der Mann seine Lippen an das Kammerfenster und küßte es; seine Zunge bearbeitete die Scheibe.
    »Was um Himmels willen geht da vor?« sagte Carnegie.
    Auf der Tonspur hatte ein hilfloses Stimmengewirr eingesetzt; vergeblich bat Doktor Welles die Testperson, ihre Empfindungen zu artikulieren, während die Dance Meßergebnisse von den verschiedenen
    Überwachungsinstrumenten abrief. Nur weniges war deutlicher zu verstehen – noch dazu wurde der Lärm durch ein hektisch ausbrechendes Geschnatter der eingesperrten Affen ergänzt –, aber es war offenkundig, daß die über die körperliche Verfassung des Mannes aufgefangenen Daten eskalierten. Sein Gesicht war gerötet; seine Haut schimmerte von einem plötzlichen Schweißausbruch. Er glich einem Märtyrer, zu dessen Füßen der Holzstoß eben erst in Brand gesetzt worden war; rasend vor tödlicher Ekstase. Er hörte auf, dem Fenster Zungenküsse zu geben, riß die Elektroden an seinen Schläfen weg und die Sensoren von Armen und Brust. Die Dance, deren Stimme jetzt höchste Bestürzung signalisierte, rief ihm lauthals zu, doch aufzuhören. Dann bewegte sie sich durch den Sichtbereich der Kamera und wieder aus ihm hinaus – um, wie Carnegie vermutete, zur Kammertür hinüberzugehen.

    »Besser nicht«, sagte er, als ob sich

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