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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sich bückte, um Talkumpuder zwischen ihre Zehen zu stäuben. Aber solche Qualen waren, glückseligerweise, selten. Und wenn sein Kelch randvoll war, steckte er das Geld ein, das er von seinen Sitzungen in der Versuchsanstalt gespart hatte, und kaufte sich die einstündige Gesellschaft einer Frau namens Angela (ihren Nachnamen hatte er nie erfahren) in der Greek Street.
    Bis zum nächsten Mal wird’s noch ein paar Wochen dauern, dachte er. Was immer er letzte Nacht getan hatte, oder genauer, man mit ihm getan hatte, schon die Prellungen und Beulen allein hatten ihn beinah zum Krüppel gemacht. Die einzige plausible Erklärung war, daß man ihn – obwohl er sich an keinerlei Details mehr erinnern konnte – auf dem Heimweg von der Versuchsanstalt zusammengeschlagen hatte; entweder das, oder er war in eine Bar gegangen, und jemand hatte Streit mit ihm angefangen. So was war gelegentlich schon vorgekommen. Er hatte eins von diesen Gesichtern, die in Trunkenbolden den Brutalo wecken.
    Er stand auf und humpelte zu dem kleinen Bad, das an sein Zimmer grenzte. Seine Brille lag nicht auf dem üblichen Platz neben dem Rasierspiegel, und seine Reflexion war jämmerlich verschwommen, aber es war offenkundig, daß sein Gesicht ebenso schlimm zerkratzt war wie sein restlicher Körper. Und mehr noch: Oberhalb des linken Ohrs war ihm ein Büschel Haare ausgerissen worden; eine Spur geronnenes Blut lief zu seinem Hals hinunter. Voller Schmerzen unterzog er sich der Aufgabe, seine Wunden zu reinigen und sie dann in einer beißenden, antiseptischen Lösung zu baden. Danach kehrte er in sein Wohnschlafzimmer zurück, um seine Brille ausfindig zu machen. Aber er konnte suchen, wie er wollte, sie blieb verschwunden. Seine Blödheit verfluchend, wühlte er unter seinen Habseligkeiten nach seiner alten Brille und fand sie auch. Die Gläserstärke war überholt – er sah mittlerweile erheblich schlechter-, aber zumindest verlieh sie seiner Umgebung eine verträumte Art von Schärfe.
    Eine nicht zu leugnende Melancholie war klammheimlich über ihn gekommen, zusammengesetzt aus seinem Schmerz und jenen unwillkommenen Gedanken an Mrs. Morrisey. Um sich von seiner Traurigkeit nicht vollends vereinnahmen zu lassen, schaltete er das Radio an. Eine schmalzige Stimme ertönte und servierte die üblichen Linderungsmittel. Jerome hatte bisher für die Popmusik und ihre Verfechter immer nur Verachtung übrig, aber jetzt, da er in dem kleinen Zimmer herumstrolchte, abgeneigt, sich mit scheuernden Geweben zu behängen, während seine Kratzer noch immer weh taten, rüttelten die Songs allmählich etwas anderes als Geringschätzung in ihm wach. Es war, als ob er die Worte und die Musik zum erstenmal höre; als ob er sein ganzes Leben lang für ihre Gefühlswelt taub gewesen sei. Bezaubert vergaß er seinen Schmerz und lauschte. Wie unter Zwang erzählten die Songs allesamt ein und dieselbe Geschichte: den Reigen von verlorener und gefundener und abermals verlorener Liebe. Die Liedertexter füllten die Ätherwellen mit ihrer Bildersprache –
    größtenteils lächerlich, aber deswegen nicht weniger wirkungsvoll. Vom Paradies war da die Rede, von Herzen in Flammen; von Vögeln, Glocken, Reisen, Sonnenuntergängen; von Leidenschaft als Wahnsinn, als Flucht, als unvorstellbare Kostbarkeit. Die Songs verschafften ihm keine Ruhe mit ihren albernen Gedanken; sie peitschten ihn auf, beschworen, trotz schwachem Reim und banaler Melodie, eine von Begierde behexte Welt. Er begann zu zittern. Seine Augen, überanstrengt durch die ungewohnte Brillenstärke (zumindest dachte er sich das so), fingen an, ihm etwas vorzugaukeln. Es schien, als könne er Lichtspuren in seiner Haut sehen, Funken, die von seinen Fingerspitzen flogen.
    Er starrte seine Hände und Arme an; die Illusion, weit davon entfernt, sich angesichts seiner kritischen Prüfung zurückzuziehen, intensivierte sich. Hell gleißende Perlen begannen, wie Feuerspuren in der Asche, durch seine Adern zu steigen, um sich vor seinen Augen zu vervielfältigen.
    Merkwürdigerweise verspürte er keinerlei Beklemmung.
    Dieses aufkeimende Feuer spiegelte lediglich die Leidenschaft aus jener Geschichte wider, die die Songs erzählten: Liebe, sagten sie, liegt in der Luft, wartet gleich um die Ecke auf ihren Finder. Wieder dachte er an die Witwe Morrisey in der Wohnung unter ihm, wie sie ihren häuslichen Pflichten nachging und dabei zweifelsohne seufzte, so wie er; in Erwartung ihres Helden. Je mehr er an sie dachte,

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