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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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den Ehrgeiz praktisch anriechen. Schon bei jemandem, der halb so alt war wie er, wäre solche Gier zu beanstanden gewesen; bei einem Dreißigjährigen grenzte sie ans Obszöne. Diese heutige Schau da – die Ansammlung von Apparaturen, mit denen sich Carnegie gleich, wenn er morgens um acht reinkam, auseinanderzusetzen hatte – entsprach ganz Boyles Stil: protzig und überladen.
    »Weshalb so viele Bildschirme?« fragte Carnegie bissig.
    »Krieg’ ich’s auch noch in Stereo?«
    »Sie ließen drei Kameras gleichzeitig laufen, Sir. Haben das Experiment aus mehreren Blickwinkeln erfaßt.«
    » Welches Experiment?«
    Boyle bat seinen Vorgesetzten mit einer Geste, Platz zu nehmen. Mal wieder übertrieben servil, was? dachte Carnegie; na, wohl bekomm’s.
    »Los geht’s«, wies Boyle den Techniker an den Recordern an, »lassen Sie die Bänder laufen.«
    Carnegie nippte an der Tasse heißer Schokolade, die er mit hereingebracht hatte. Er hatte eine Schwäche für das Getränk, die schon an Sucht grenzte. An den Tagen, an denen der betreffende Automat einen Defekt hatte, war er wahrhaftig ein unglücklicher Mann. Er schaute auf die drei Bildschirme.
    Plötzlich ein Titel.
    PROJEKT BLINDER JUNGE, lauteten die Worte, NUR FÜR
    FORSCHUNGSPERSONAL.
    »Blinder Junge?« sagte Carnegie. »Was, oder wer soll’n das sein?«
    »Es ist offensichtlich irgendeine Art Codewort«, sagte Boyle.
    »Blinder Junge. Blinder Junge.« Carnegie wiederholte die Formulierung, wie um ein Geständnis aus ihr herauszuprügeln, aber bevor er das Problem lösen konnte, divergierten auf den drei Monitoren die Bilder. Sie gaben zwar dieselbe Versuchsperson wieder – einen bebrillten Mann Ende Zwanzig in einem Sessel –, aber jedes zeigte die Szene aus einem anderen Blickwinkel. Eines erfaßte den Gegenstand in der Totale und im Profil; das zweite war eine Mittelaufnahme im Halbprofil, aus einem Blickwinkel schräg darüber; das dritte war eine Großaufnahme von Kopf und Schultern der Versuchsperson, aus der Waagrechten und von vorn, durch die Scheibe der Testkammer gefilmt. Die drei Bilder waren in Schwarzweiß, und keines von ihnen war vollständig zentriert oder scharf. Ja, als die Bänder zu laufen begannen, war noch immer jemand mit dem Nachstellen solcher technischer Einzelheiten beschäftigt. Ein Nachhall zwanglosen Geplappers pendelte zwischen der Versuchsperson und der Frau – selbst nach nur flüchtigem Hinsehen als die Verstorbene erkennbar –, die an der Stirn des Mannes Elektroden anbrachte. Vieles von dem, was die beiden miteinander redeten, blieb mehr oder minder unverständlich; die Akustik in der Kammer frustrierte Mikrophon und Zuhörer gleicherweise.
    »Die Frau ist Doktor Dance«, offerierte Boyle. »Das Opfer.«
    »Ja«, sagte Carnegie, der aufmerksam die Bildschirme beobachtete, »ich erkenn’ sie wieder. Wie lang dauert diese Vorbereitung noch?«
    »’ne ganze Weile. Das meiste davon ist unergiebig.«
    »Na, dann zeigen Sie schon das ergiebigere Zeug.«
    »Schnelle Drehzahl vorwärts«, sagte Boyle. Der Techniker gehorchte, und die Akteure auf den drei Monitoren wurden zu quiekenden Komikern. »Warten Sie!« sagte Boyle. »Gehn Sie’n kurzes Stück zurück.« Wieder tat der Techniker wie angewiesen. »Stoppen Sie hier. Und jetzt mit normaler Drehzahl weiter.« Die Aktion fand zu ihrem natürlichen Tempo zurück. »Ab da geht’s richtig los, Sir.«

    Carnegie hatte jetzt seine heiße Schokolade ausgetrunken; er steckte einen Finger in den weichen Schlick am Tassenboden und beförderte den schwach süßen Bodensatz auf seine Zunge.
    Auf dem Bildschirm hatte sich Doktor Dance der Versuchsperson mit einer Spritze genähert, rieb dem Mann nun mit einem Wattebausch über die Armbeuge und gab ihm eine Injektion. Nicht zum erstenmal seit seinem Besuch bei der Hume-Versuchsanstalt fragte sich Carnegie, was genau die in dem Institut eigentlich machten. War diese Art des Vorgehens gang und gäbe in der pharmazeutischen Forschung? Die implizite Heimlichkeit des Experiments – spät abends in einem ansonsten verlassenen Gebäude – ließ auf das Gegenteil schließen. Und da war dieser strikte Hinweis im Titelblock –
    NUR FÜR FORSCHUNGSPERSONAL. Was sie beobachteten, war zweifelsohne nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen.
    »Fühlen Sie sich wohl?« erkundigte sich jetzt jemand aus dem Off. Die Versuchsperson nickte. Man hatte dem Mann die Brille abgenommen, und er sah leicht verwirrt aus ohne sie. Ein unauffälliges

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