Das 4. Buch des Blutes - 4
der Plot dieses Dramas nach seinem Befehl richtete und er aus einer Laune heraus die Tragödie verhindern könnte. Aber die Frau nahm davon keine Notiz. Einen Moment später tauchte sie, beim Betreten der Kammer, in der Totale auf. Der Mann setzte sich in Bewegung, sie zu begrüßen, und warf dabei Apparaturen um. Sie rief ihm mit lauter Stimme etwas zu – seinen Namen vielleicht. Falls ja, so blieb er wegen des Affentumults unhörbar. »Scheiße«, sagte Carnegie, als die wild herumfuchtelnden Arme der Testperson erst die Kamera mit der Profileinstellung und dann die für Mittelaufnahme im Halbprofil erwischten: zwei der drei Monitore fielen aus. Lediglich die Kamera mit Frontaleinstellung, außerhalb der Kammer in Sicherheit, zeichnete noch die Vorgänge auf, aber die Nahaufnahme erlaubte nur einen gelegentlichen, flüchtigen Blick auf einen sich bewegenden Körper. Das nüchterne Kameraauge starrte vielmehr weiterhin, beinahe ironisch, auf die speichelverschmierte Scheibe des Kammerfensters, blind für die Greuel, die ein, zwei Meter außerhalb seiner Reichweite begangen wurden.
»Was um Himmels willen haben sie dem bloß gegeben?«
sagte Carnegie, als, irgendwo aus dem Off, die Schreie der Frau das Affengekreisch übertönten.
Jerome erwachte am frühen Nachmittag; er fühlte sich hungrig und wund. Als er das Laken zur Seite warf, erschrak er über den Zustand seines Körpers: Der Rumpf war von Kratzern übersät, die Schamgegend rot aufgescheuert. Immer wieder zusammenzuckend, rutschte er an die Bettkante und saß dort eine Weile, versuchte, den vorherigen Abend wieder zusammenzustückeln. Er erinnerte sich noch, daß er zur Versuchsanstalt gegangen war – aber an nicht recht viel mehr.
Seit mehreren Monaten war er ein bezahltes Versuchskaninchen, opferte von seinem Blut, seinem Wohlbefinden und seiner Geduld, um sein mageres Einkommen als Übersetzer aufzubessern. Die Vereinbarung war durch Vermittlung eines Freundes zustande gekommen, der in ähnlicher Funktion tätig war, aber während Figleys Arbeit zum Hauptprogramm der Versuchsanstalt gehörte, waren nach einwöchigem Aufenthalt im Institut die Doktoren Welles und Dance an Jerome herangetreten und hatten ihn darum gebeten, als Versuchsperson für eine Serie psychologischer Tests ausschließlich unter ihrer Regie zu arbeiten. Gleich von Anfang an war kein Zweifel daran gelassen worden, daß ihr Projekt (von dessen Zweck man ihm nie etwas mitteilte) geheimer Natur sei, und daß sie auf seinem rückhaltlosen Einsatz und seiner Diskretion bestehen müßten.
Er brauchte das Geld, und die Entschädigung, die sie boten, war immerhin noch besser als die der Versuchsanstalt; also willigte er ein, obwohl die Arbeitszeit, zu der sie ihn verpflichteten, unchristlich war. Mehrere Wochen schon verlangten sie jetzt von ihm, sich spät abends in der Forschungsabteilung einzufinden, um dort oft bis in die frühen Morgenstunden zu arbeiten – dauernd Welles’ endloser Fragerei über sein Privatleben und dem glasigen Starrblick der Dance ausgesetzt.
Beim Gedanken an ihren kalten Blick spürte er, wie er innerlich erschauerte. Hing das damit zusammen, daß er sich idiotischerweise einmal eingebildet hatte, sie betrachte ihn liebevoller, als von einem Arzt zu erwarten war? Ein derartiger Selbstbetrug, tadelte er sich, ist erbärmlich. Er war nicht aus dem Zeug gemacht, von dem die Frauen träumen, und jeder Tag, an dem er in den Straßen umherlief, festigte diese Überzeugung. Er konnte sich an keine einzige Gelegenheit in seinem Erwachsenenleben erinnern, bei der eine Frau in seine Richtung geschaut und dann nicht gleich wieder weggeschaut hätte; oder daß irgendwann einmal ein anerkennender Blick seinerseits erwidert worden wäre. Weshalb ihm das jetzt etwas ausmachen sollte, blieb ihm schleierhaft: Sein liebeloser Zustand war, wie er wußte, eine sattsam bekannte Tatsache.
Und Mutter Natur hatte sich freundlich gezeigt; da sie anscheinend wußte, daß er bei der Vergabe erotischer Anziehungskraft leer ausgegangen war, hatte sie es für angebracht gehalten, seine Libido auf ein Minimum zu beschränken. Wochen vergingen, ohne daß ein bewußter Gedanke die ihm aufgezwungene Keuschheit betrauerte.
Hin und wieder, wenn er die Abflußrohre rauschen hörte, mochte er sich fragen, wie wohl Mrs. Morrisey, seine Hauswirtin, in ihrer Badewanne aussah; mochte sich die Festigkeit ihrer eingeseiften Brüste vorstellen, oder die dunkle Spalte ihres Hinterteils, während sie
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