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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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okay«, sagte er, »Ich hab’ nichts zu tun.«
    »Und was is’ mit der Schule?«
    »Die mag ich nicht«, antwortete der Junge, als sei er zur Schulbildung nicht verpflichtet, wenn er keinen Geschmack dran fand.
    »Verstehe«, sagte Helen und begann, längsseits des
    Viereckhofs voranzumarschieren. Der Junge folgte ihr. Auf dem Rasenfleck im Mittelpunkt des Innenhofs waren mehrere Stühle und zwei oder drei tote Bäumchen aufgeschichtet.
    »Was is’ das?« sagte sie, halb zu sich selbst.
    »Scheiterhaufennacht«, informierte sie der Junge. »Nächste Woche.« »Natürlich.«
    (Anm. d. Übers.: Gemeint ist der 5. November, der Guy Fawkes Day, an dem in England Nachbildungen des gleichnamigen Verschwörers (Hauptdrahtzieher im sog. Gunpowder Plot gegen James I. und das Parlament, 1605), die »guys«, verbrannt werden. )
    »Woll’n Sie bei Anne-Marie reinschaun?« fragte er.
    »Ja.«
    »Sie is’ nich’ daheim.«
    »Ach. Bist du sicher?«
    »Ja klar.«
    »Na ja, vielleicht kannst du mir helfen…« Sie blieb stehen und drehte sich um, um dem Kleinen ins Gesicht zu sehen;
    weiche Säckchen der Ermüdung hingen unter seinen Augen.
    »Hier ganz in der Nähe soll ein alter Mann ermordet worden sein«, sagte sie zu ihm. »Im Sommer. Weißt du irgendwas darüber?«
    »Nein.«
    »Überhaupt nichts? Du kannst dich nicht erinnern, daß irgendwer ermordet wurde?«
    »Nein«, sagte der Junge wieder, mit beeindruckender Entschiedenheit. »Kann mich nicht erinnern.«
    »Na gut. Jedenfalls danke.«
    Sie machte sich auf den Weg, zurück zu ihrem Wagen, und diesmal folgte ihr der Junge nicht. Aber während sie um die Ecke am Hofausgang bog, blickte sie flüchtig zurück und sah ihn an der Stelle stehen, wo sie ihn verlassen hatte. Er starrte ihr nach wie einer Wahnsinnigen.
    Bis sie den Wagen erreicht und die Fotoausrüstung im Kofferraum verstaut hatte, waren Regentröpfchen im Wind, und sie war sehr versucht zu vergessen, daß sie Anne-Maries Geschichte je gehört hatte, und sich direkt nach Hause zu begeben, wo der Kaffee, wenn schon nicht der Empfang, warm sein würde. Aber sie brauchte dringend eine Antwort auf die Frage, die ihr Trevor gestern abend gestellt hatte. »Glaubst du es denn?« hatte er sie gefragt, als sie ihm die Geschichte erzählt hatte. Da hatte sie nicht gewußt, wie sie antworten sollte, und jetzt wußte sie’s noch immer nicht. Vielleicht (aus welchem Grund ahnte sie das?) war das Begriffssystem nachprüfbarer Wahrheit hier überflüssig; vielleicht war die endgültige Antwort auf seine Frage überhaupt keine Antwort, nur eine weitere Frage. Wenn es sich so verhielt, dann bitte. Sie mußte es herausfinden.
    Der Ruskin-Viererblock war trostlos wie seine Pendants, wenn nicht noch trostloser. Er hatte nicht einmal einen Scheiterhaufen aufzuweisen. Auf dem Balkon im dritten Stock nahm eine Frau die Wäsche ab, ehe der Regen voll einsetzte;
    auf dem Rasenstück in der Hofmitte fickten in mechanischer Trance zwei Hunde; die gedeckte Hündin starrte zum kahlen Himmel hinauf. Helen setzte ein entschlossenes Gesicht auf.
    Ein zielstrebiger Ausdruck, hatte Bernadette einmal gesagt, schützt vor Überfall. Als sie die zwei Frauen erblickte, die sich am anderen Ende des Hofes unterhielten, marschierte sie eilig zu ihnen hinüber, dankbar dafür, daß sie da waren.
    »Entschuldigen Sie…«
    Die Frauen, beide im mittleren Alter, stellten ihren lebhaften Meinungsaustausch ein und musterten sie von Kopf bis Fuß.
    »Ob Sie mir vielleicht behilflich sein könnten?«
    Sie konnte die Abschätzung und den Argwohn der beiden spüren; sie verstellten sich nicht. Die eine, mit rosigem Gesicht, sagte unumwunden: »Was wollen Sie?«
    Plötzlich hatte Helen jegliche Kraft, charmant zu sein, verloren. Was sie zu den beiden auch sagen würde - müßten sie nicht daraus schließen, daß sie makabre Beweggründe hatte?
    »Ich hab’ gehört…« begann sie und verhaspelte sich dann, weil ihr bewußt wurde, daß sie von diesen zwei Frauen keinerlei Beistand erwarten durfte. »… ich hab’ gehört, daß hier in der Nähe ein Mord geschehen ist. Stimmt das?«
    Die Rosige zog die Augenbrauen in die Höhe, die so gezupft waren, daß man sie kaum sah. »Ein Mord?« sagte sie.
    »Sind Sie von der Presse?« erkundigte sich die andere Frau.
    Die Jahre hatten aus ihren Zügen alles Versüßende herausgeätzt. Tiefe Falten umfurchten ihren kleinen Mund; ihr brünett gefärbtes Haar zeigte einen Fingerbreit Grau am Ansatz.
    »Nein, ich bin

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