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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nicht von der Presse«, sagte Helen. »Ich bin eine Freundin von Anne-Marie, aus dem Butts-Block.« Diese Freundin-Behauptung nahm es mit der Wahrheit nicht so genau, schien aber die Frauen etwas milder zu stimmen.
    »Auf Besuch sind Sie?« fragte die Rosige.
    »Sozusagen…«
    »Sie ham die warme Zeit verpaßt…«
    »Anne-Marie hat mir von jemand erzählt, der hier irgendwann im Sommer ermordet wurde. Darüber würd’ ich gern Genaueres erfahren.«
    »Ach tatsächlich?«
    »Wissen Sie irgendwas davon?«
    »‘ne Menge Dinge passieren in der Gegend hier«, sagte die
    zweite Frau. »Nicht mal die Hälfte davon bekommt man mit.«
    »Also ist es wahr«, sagte Helen.
    »Sie mußten die Toiletten schließen«, warf die erste Frau ein.
    »Das stimmt. Ham sie gemacht«, sagte die andere.
    »Die Toiletten?« sagte Helen. Was hatte das mit dem Tod des Alten zu tun?
    »Es war fürchterlich«, sagte die erste. »War’s dein Frank, Maureen, der dir davon erzählt hat?«
    »Nein, nicht Frank«, antwortete Maureen. »Frank war noch auf See. Es war Mrs. Tyzack.«
    Nachdem die Zeugin benannt war, trat Maureen die Geschichte an ihre Gefährtin ab und nahm Helen wieder voll ins Visier. Das Mißtrauen war noch nicht aus ihrem Blick gewichen.
    »Das war erst vorigen Monat«, sagte die andere. »So gegen Ende August. Es war doch August, oder?« Sie suchte zur Bestätigung Maureens Blick. »Du hast doch immer alle Daten im Kopf.«
    Maureen wirkte unangenehm berührt. »Kann mich nicht erinnern, Josie«, sagte sie, offenkundig nicht bereit, irgend etwas zu bezeugen.
    »Ich würd’ gern mehr drüber hören«, sagte Helen. Josie tat ihr, trotz des Widerstands ihrer Gefährtin, gern den Gefallen.
    »Es gibt da ‘n paar Toiletten«, sagte sie, »vor den Läden draußen - wissen Sie, öffentliche Toiletten. Ich kann nicht hundertprozentig sagen, wie das alles genau passiert is’, aber da war früher immer so’n Junge… na ja, er war eigentlich kein Junge, ich mein’, er war ein Mann um die Zwanzig oder mehr, aber er war…«, sie suchte nach den Worten, »… geistig
    zurückgeblieben, würden Sie wahrscheinlich sagen. Seine Mutter hat ihn immer mit sich rumgeschleppt, als ob er’n Vierjähriger wäre. Jedenfalls, sie hat ihn auf die Toiletten gehen lassen, während sie in den kleinen Supermarkt ging, wie heißt er gleich?« wandte sie sich an die andere, damit diese ihr soufflierte; aber Maureen erwiderte bloß mit offenkundiger Mißbilligung ihren Blick. Josie war jedoch nicht zu bändigen.
    »Am hellichten Tag war das«, sagte sie zu Helen. »Mitten am Tag. Jedenfalls, der Junge ging aufs Klo, und die Mutter war im Laden. Und nach ‘ner Weile, wie’s so geht, sie is’ voll mit Einkaufen beschäftigt, sie denkt nicht mehr an ihn, und dann merkt sie, daß er schon lange Zeit weg ist…«
    An dieser Stelle konnte Maureen sich nicht zurückhalten, dazwischenzufahren; die Richtigkeit der Geschichte war ihr offenbar wichtiger als ihr Argwohn. »Sie is’ ins Streiten gekommen«, korrigierte sie Josie, »mit dem Geschäftsführer. Über ‘nen schlechten Schinken, den sie von ihm hatte. Deshalb war sie so lange…«
    »Verstehe«, sagte Helen.
    »Jedenfalls«, sagte Josie und nahm ihre Erzählung wieder auf, »sie war dann mit dem Einkaufen fertig, und als sie rauskam, war er noch immer nicht da…«
    »Also hat sie jemand aus dem Supermarkt gebeten…«
    begann Maureen, aber Josie hatte nicht vor, sich ihren Bericht an dieser entscheidenden Stelle wieder entreißen zu lassen.
    »Sie hat einen der Männer aus dem Supermarkt gebeten«, wiederholte sie, Maureens Einwurf übertönend, »in die Toiletten rüberzugehn und ihn zu suchen.«
    »Es war fürchterlich«, sagte Maureen, die sich offensichtlich den Greuel vor ihrem inneren Auge ausmalte.
    »Er lag auf dem Boden, in einer Blutlache.«
    »Ermordet?«
    Josie schüttelte den Kopf. »Tot wär’ er besser dran gewesen.
    Er is’ mit ‘nem Rasiermesser angegriffen worden…« sie ließ dieses Stück Information erst einmal wirken, ehe sie den Gnadenstoß verabreichte, »und sie ham ihm die Geschlechtsteile abgeschnitten und sie die Kloschüssel runtergespült. Ohne den geringsten Grund.«
    »O mein Gott.«
    »Tot wär’ er besser dran gewesen«, wiederholte Josie. »Ich mein’, so was läßt sich nicht mehr reparieren, oder?«
    Die Kaltblütigkeit der Erzählerin und das beiläufig wiederholte »Tot wär’ er besser dran gewesen« machten die grauenvolle Erzählung nur noch

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