Das 5. Buch des Blutes - 5
Bischof versprochen hatte, so unverwest wie am Tag seiner Hinrichtung - teilte den Sarg mit Billy Tait, der, nackt wie ein Säugling, in den Armen seines Großvaters lag. Edgars verdorbenes Körperglied war noch immer um Billys Hals gewunden, und die Wände des Sarges waren dunkel von geronnenem Blut. Aber Billys Gesicht war nicht besudelt. Er sieht aus wie eine Puppe, bemerkte einer der Ärzte. Cleve hätte gern erwidert, daß keine Puppe solche Tränenflecken auf den
Wangen habe, noch solche Verzweiflung in den Augen, aber der Gedanke wollte sich nicht artikulieren lassen.
Cleve wurde drei Wochen später auf besonderen Antrag bei der Kommission für bedingte Strafaussetzung aus Pentonville entlassen, nach Verbüßung von nur zwei Dritteln seines vollen Strafmaßes.
Kaum ein halbes Jahr verging, und er kehrte zu dem einzigen Beruf zurück, den er je gekannt hatte. Jegliche Hoffnung auf eine Befreiung von seinen Träumen, die er eventuell gehegt hatte, war von kurzer Dauer. Die Stätte war noch immer bei ihm: weder so klar konturiert noch so mühelos durchwandert, jetzt, da Billy - dessen geistige Kräfte diese Tür für ihn geöffnet hatten - fort war, aber noch immer ein überaus machtvolles Schreckgespenst, dessen lauernde Gegenwart Cleve zermürbte.
Manchmal schwanden die Träume fast völlig, nur um mit schrecklicher Macht wieder zurückzukehren. Cleve brauchte mehrere Monate, ehe er das Grundmuster dieser Schwankung zu begreifen begann. Menschen, erkannte er, brachten ihm den Traum.
Wenn er eine Zeitlang mit jemandem zusammen war, der Mordabsichten hatte, kam die Stadt zurück. Auch waren solche Menschen nicht besonders selten. Sobald er ein stärkeres Gespür für die tödliche Ader in Menschen seiner unmittelbaren Umgebung entwickelt hatte, war er kaum mehr imstande, die Straße entlangzugehen. Sie waren überall, diese Killer im Em-bryonalzustand; Menschen mit schicker Kleidung und heiterer Miene schritten übers Pflaster dahin und stellten sich unterm Schreiten den Tod ihrer Arbeitgeber und ihrer Ehepartner, von Seifenopernstars und unfähigen Schneidern vor. Die Welt hatte Mord im Sinn, und er konnte ihre Gedanken nicht mehr
ertragen.
Nur Heroin bot ein wenig Erlösung von der Last der Erfahrung. Er hatte sich bisher nie viel H gespritzt, aber es wurde rasch sein ein und alles. Es war jedoch eine teure Sucht und eine, die er aus seinem zunehmend eingeschränkten Kreis beruflicher Kontakte kaum zu finanzieren erhoffen konnte. Es war ein Mann namens Grimm, auch ein Süchtiger (der übrigens der Wirklichkeit so verbissen aus dem Weg ging, daß er auf saure Milch high werden konnte), der Cleve dezent nahelegte, daß er möglicherweise eine bestimmte Arbeit erledigen wolle, die eine seinem Hunger angemessene Bezahlung einbrächte.
Eine vernünftige Idee, so schien es. Ein Treffen wurde vereinbart und ein Vorschlag gemacht. Die Bezahlung für den Job war so hoch, daß ein Mann, der so dringend Geld brauchte wie Cleve, ihn nicht ablehnen konnte. Der Job war natürlich Mord.
»Es gibt hier keine Besucher; nur künftige Einwohner.« Das hatte ihm einmal jemand gesagt, obwohl er sich nicht mehr recht erinnerte, wer, und er glaubte an Prophezeiungen. Wenn er jetzt keinen Mord beginge, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis er es doch tun würde.
Aber obwohl die Einzelheiten des Attentats, das er ausführte, eine grauenhafte Vertrautheit für ihn hatten, war er nicht auf die Kollision von Umständen gefaßt, aufgrund deren er schließlich vom Schauplatz seines Verbrechens barfuß floh und derart gehetzt über Pflaster und Asphalt rannte, daß seine Füße, bis die Polizei ihn gestellt und niedergeschossen hatte, blutig waren und endlich dazu bereit, die Straßen der Stadt zu beschreiten - genauso, wie er es in seinen Träumen schon getan hatte.
Das Zimmer, in dem er gemordet hatte, wartete auf ihn, und er wohnte dort, hielt sich mehrere Monate lang vor jedem verborgen, der draußen auf der Straße auftauchte. (Er nahm
aufgrund des Bartes, der ihm gewachsen war, an, daß hier die Zeit verging; obwohl Schlaf selten kam und der Tag nie.) Nach einer Weile jedoch setzte er sich mutig dem kühlen Wind und den Schmetterlingen aus und machte sich zu den Randbezirken der Stadt fort, wo die Häuser sich verloren und die Wüste in den Vordergrund trat. Er ging, nicht um die Dünen zu sehen, sondern um den Stimmen zu lauschen, die ständig kamen, steigend und fallend, wie das Geheul von Schakalen oder Kindern.
Er
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