Das 5. Gebot (German Edition)
sozusagen abgeriegelt worden. Rasterfahndung nannte man das damals. Und dann gingen sie ihnen ins Netz. Hätte Petra nicht geschossen, wäre der Spuk an diesem Dienstagmorgen in Mönchengladbach vorbei gewesen. Die arme Frau, diese Gabriele, sie war die Mutter von zwei kleinen Kindern. Geht einkaufen und rennt meiner Tochter direkt vor die Flinte.“
„Petra hat eine unbeteiligte Frau erschossen?“
„Genau so ist es. Wie konnte meine Tochter damit leben? Das habe ich mich immer und immer wieder gefragt, nicht wahr. Wie konnte sie damit leben, sie hatte doch ein Gewissen, sie war doch diejenige, die immer von Gerechtigkeit in der Gesellschaft sprach, die jede verdammte Nacktschnecke von einer Gartenseite zur anderen getragen hat, damit niemand drauf tritt. Wie kann eine solche Frau töten? Ich wollte es nicht glauben, ich konnte es nicht glauben, dass ich dieses Monster großgezogen habe. Und ein paar Wochen später waren die Zwillinge aus unserem Haus verschwunden. Wie hat sie es geschafft, die beiden Kleinen zu entführen? Wir waren besser bewacht als Fort Knox. Natürlich hatte die Polizei gehofft, dass Petra sich ihren Mädchen nähern wird, und wollte sie dabei fassen. Wir haben nie herausgefunden, wie sie die Kinder entführen konnte.“
„Das ist ja furchtbar“, sagte George und schluckte. „Diese ganze Ungewissheit. Ich nehme an, Sie haben Ihre Tochter und Ihre Enkelinnen selbst suchen lassen.“
„Selbstverständlich haben wir das. Wir haben Detektive auf der ganzen Welt angeheuert, standen jahrzehntelang in Verbindung mit dem Bundeskriminalamt. Aber die Spuren verliefen alle im Sand. Der Vater der Zwillinge hat sich zwei Jahre später bei einem Selbstmordattentat in die Luft gesprengt. Seine Spur hatten wir in Venezuela verloren. Es war hoffnungslos.
Meine Frau Trudi ist daran zerbrochen. Sie hat sich das Leben genommen.“
George schluckte und sah aus dem Fenster. Er spürte, dass der alte Mann nur mit Mühe seine Tränen zurückhalten konnte. Das also war Vickys Großvater. „Wie sind Sie darauf gekommen, dass Vicky Ihre Enkelin sein könnte?“, fragte George.
„Ich habe sie vor ein paar Wochen morgens am Schlachtensee joggen gesehen. Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß, müssen Sie wissen. Deshalb sitze ich morgens auf der Terrasse oder im Wintergarten und beobachte das Treiben unten am See mit einem Fernglas. Das ist vor allem im Frühling interessant, wenn die Bäume noch kein Laub tragen. Und da sah ich sie. Sie hatte etwas an sich, das mich magisch angezogen hat. Zunächst waren es ihre Bewegungen, diese besondere Art, wie sie beim Laufen den Kopf hielt, genauso wie Trudi und später auch Petra. Einmal ist sie stehen geblieben und hat hinüber zu mir geschaut. Und dabei hat sie gelächelt. Wissen Sie, George, das war wie ein Lächeln aus einer anderen Welt. Ich kann es Ihnen gar nicht erklären, aber sie hat nur gelächelt und plötzlich war alles wieder da. Ich habe dann auf sie gewartet, unten am See, an der Alten Fischerhütte . Manchmal lief sie sogar zweimal am Tag. Das habe ich zumindest gedacht. Nie, nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass meine beiden kleinen Mädchen gleichzeitig wieder zurück sind. Einmal habe ich sie angesprochen, wollte sie von Nahem sehen, wollte ihre Stimme hören. Es war Petras Stimme, diese tiefe, sanfte Stimme, die ich an meiner Tochter so geliebt habe. Ich war mir ganz sicher, dass diese Frau meine Enkelin ist.“
„Und wie haben Sie herausbekommen, wie sie heißt und wo sie wohnt?“
„Junger Mann, ich verfüge nicht erst seit den Tagen der RAF über Mittel und Wege.“
George glaubte ihm aufs Wort.
„Wenn ich nur wüsste, ob Vicky Birgit oder Manuela ist“, sagte der Alte.
„Oh, das ist leicht, Vicky träumt immer, wenn sie unter Stress steht, von einem kleinen Mädchen, das ruft: Ela, Ela.“
„Ja, dann ist Vicky wohl unsere Manuela. Die Ältere von den beiden. Ein paar Minuten älter, natürlich nur.“
„Was uns aber fehlt, sind die Verbindungsstücke. Wieso wurden die Zwillinge getrennt? Ich verstehe nicht, was passiert sein könnte.“
„Sie sagten, Ihre Schwiegermutter sei vor kurzem in England begraben worden. Was war das für eine Frau?“, fragte der Alte.
„Oh, die Dame war etwas Besonderes. Es schien ausgeschlossen, dass sie jemals in ihrem Leben etwas Unrechtes getan haben könnte. Und Vicky liebte ihre Mutter über alles.“ George erzählte dem alten Mann von seiner frommen und aufopferungsbereiten
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