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Das 5. Gebot (German Edition)

Das 5. Gebot (German Edition)

Titel: Das 5. Gebot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Nachbarn, meine Freunde, mich selbst, Dich. Vor allem Dich, geliebtes Kind.
    Dominique kam mit einem dicken Packen Papier die Treppe herunter. „Liebe Güte, das ist richtig viel Papier. Und ich fürchte, es ist grauenvoll, jedenfalls das, was ich auf den ersten Blick so gesehen habe.“ Leo nahm ihm den Packen ab und sortierte die Blätter in drei Stapel.
    „Ich glaube, ich muss Vicky das Satz für Satz übersetzen. Dauert ein bisschen, Häseken.“
    „Fang endlich an“, sagte Vicky, die sich fühlte wie ein Kaninchen, das starr vor einer Schlange saß.
    Wann aber beginnt eine Geschichte? Beginnt sie an dem Tag, an dem ich Serge kennenlernte? Oder wäre Serge nicht möglich gewesen ohne meinen Vater, diesen strengen, selbstgerechten erzkatholischen Mann, der meiner Mutter und mir das Leben zur Hölle gemacht hat. War Serge nur der Prinz aus Tausendundeiner Nacht, der zufällig vorbeigaloppierte und mich aus dem Gefängnis meiner Jugend entführte?
    Es war kurz vor dem Abitur, als meine Periode ausblieb. Was das in den siebziger Jahren bedeutete, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Mein Leben schien zu Ende, noch ehe es begonnen hatte. Wie sollte ich meinem Vater auch sagen, dass ich ein Kind erwartete von einem Serge, dessen Existenz ich bis zu diesem Zeitpunkt peinlich geheim gehalten hatte? Mein Vater hätte mich totgeschlagen und wie immer meine Mutter leiden lassen. Eine Heirat mit einem Maghrebiner wäre für meinen Vater nicht in Frage gekommen, Pied-Noir-Enkelkind wäre genau die Schande gewesen, vor der er sich immer gefürchtet hatte. Auch eine Abtreibung wäre in einem katholischen Elternhaus selbstverständlich nicht in Frage gekommen.
    Ich musste weg – eine andere Lösung gab es nicht. Geld hatte ich nicht, eine Idee, was zu tun war, hatte ich auch nicht, und einen Mann, der das mit mir durchstehen würde, hatte ich erst recht nicht.
    Serge war ein Abenteurer. Er träumte von der großen weiten Welt. Bei der Armee gab man ihm diesen Fragebogen, auf dem er ankreuzen konnte, wohin er wollte. Deutschland stand darauf, Französisch-Guayana und Somalia. Er hat mir erzählt, dass er gefragt habe, was am weitesten weg sei von Lyon. Aber ich bin sicher, dass er Französisch-Guayana nur deshalb ankreuzte, weil er „Papillon“ gelesen hatte. Teufelsinsel, das war ganz nach seinem Geschmack. Sein Berufsziel hieß: Krieg.
    Bis in den achten Monat konnte ich meinen Zustand geheim halten. In den Sommerferien hatte ich einen Job als Verkäuferin angenommen, um mir das Geld für eine Flugkarte zu verdienen. In der ersten Schulwoche im letzten Schulhalbjahr bestieg ich ein Flugzeug. Ziel meiner Flucht: Cayenne. Dafür brauchte man Gott sei Dank kein Visum.
    Am Flughafen in Rochambeau meldete ich mich bei der Behörde und sagte, dass ich meinen zukünftigen Ehemann suchen würde. Welch ein Aufstand! Natürlich war ich noch nicht volljährig, eine Einwilligung meiner Eltern lag nicht vor, und passenderweise setzten bereits auf dem Flughafen die Wehen ein. Sie konnten mich nicht zurückschicken.
    Im Krankenhaus in Cayenne brachte ich fünf Wochen zu früh ein bildschönes, noch etwas schwaches Mädchen zur Welt. Die Militärbehörde hatte Serge ausfindig gemacht, für eine Hochzeit hätten wir allerdings nicht nur die Einwilligung meiner Eltern gebraucht, sondern auch seinen Willen, mich zu ehelichen. Selbstverständlich erkannte er auch die Vaterschaft nicht an. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. In der Geburtsurkunde, die man mir in Cayenne ausgestellt hat, stand: Vater unbekannt. Mein kleines Mädchen war so schön, deshalb nannte ich sie Isabelle.
    Vicky hatte gespannt gelauscht. „Moment mal, das verstehe ich nun absolut nicht. Sie nennt meine Zwillingsschwester Isabelle? Von Zwillingen steht da aber nichts, oder habe ich was überhört?“
    „Ich verstehe es auch noch nicht, Häseken“, sagte Leo, „lass uns einfach weiterlesen.“
    Im Krankenhaus traf ich Jean, eine reiche Amerikanerin aus San Francisco. Jean hatte zusammen mit ihrem Bruder und einigen Freunden in Brasilien eine Yacht gekauft, mit der sie nach dem ehemaligen Britisch-Guayana unterwegs gewesen waren, als sie einen Blinddarmdurchbruch hatte. Deshalb hatten sie die nächstgelegene Küste angesteuert.
    Jean erzählte mir von ihrem Traum. Sie und ihr Bruder hatten kein geringeres Ziel als das Paradies auf Erden. Sie schwärmte von einem Land, in dem Weiß und Schwarz friedlich miteinander leben würden. Ein Land, in

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