DAS 5. OPFER
wieder auf und blickte durch sie hindurch auf Reggie. Seine Augen sahen groß und traurig aus. »Reggie, deine Mom …«
»Ich weiß, Neptun hat sie. Es war ihre Hand, die sie gefunden haben. Ich wusste es schon vor Lorraine – seit ich das erste Mal die Beschreibung der Hand gehört hatte. Ich bin sogar zur Polizei gegangen.«
Georges Augen hinter den Brillengläsern wurden größer. »Wirklich? Weiß Lorraine davon?«
Reggie schüttelte den Kopf. »Sie würde mich umbringen. Bitte sag es ihr nicht.«
Er lächelte schwach. »Dann ist es unser Geheimnis.« Sie schwiegen einen Augenblick, beide scharrten mit ihren Füßen auf dem Boden. Reggie blickte nach unten und sah, dass das Linoleum voller Krümel war.
»Reggie«, sagte George. »Wenn du mit jemandem reden willst … über deine Mom, meine ich …«
»Danke«, sagte Reggie und stand auf, als müsste eilig sie irgendwo hin. George sah erleichtert aus, dass sie sein Angebot nicht gleich hier und jetzt annehmen würde.
»Hey, ich dachte, ich könnte zurück zu mir fahren und an Lorraines Angelschrank arbeiten. Es wäre gut, etwas zu tun zu haben. Etwas, was mir hilft, mich von all dem abzulenken. Willst du mich begleiten?«, sagte George mit erhobenen Augenbrauen. Manchmal erinnerte George Reggie an einen hoffnungsvollen Hund, einen, den man unmöglich enttäuschen konnte. Sie mochte diesen Blick sehr viel lieber als diesen allsehenden Röntgenblick, mit dem er sie gerade erst angesehen hatte.
Reggie nickte und folgte ihm nach draußen zu seinem Lieferwagen.
»Schöner Morgen«, sagte George. Die Luft roch nach frisch geschnittenem Gras und gegrilltem Fleisch – einer ihrer Nachbarn gab eine Grillparty. Der verkohlte Geruch traf Reggie mit voller Wucht, verursachte Wellen der Übelkeit bei ihr. Sie war sicher, dass sie dahinter den schwachen Geruch ihres eigenen Blutes wahrnehmen konnte, das aus ihrem Bein tropfte. Sie lehnte sich gegen Georges Lieferwagen, hielt sich fest, bevor sie hineinkletterte.
GEORGE WAR SEHR GUT mit dem Angelschrank vorangekommen. Die Seiten, der Boden und die Oberseite waren bereits fertig, lagen jedoch ordentlich aufgereiht auf einer Steppdecke auf dem Kellerboden und warteten darauf, zusammengebaut zu werden.
»Willst du etwas Cooles sehen?«, fragte George mit glänzenden Augen.
»Sicher.«
Er langte hinab zum Boden des Schrankes: eine kleine Plattform aus abgeschliffener Eiche mit dekorativen Zierleisten an den Rändern. Er drückte auf den Boden des Unterteils, und er sprang auf, wie eine Tür.
»Er hat ein Geheimfach«, sagte er. »Dieser Teil stand nicht in den Plänen. Ich habe ihn selbst hinzugefügt. Denkst du nicht, sie wird es lieben?«
Reggie lächelte. Es war ziemlich cool. Und doch hatte sie Schwierigkeiten, sich vorzustellen, für was Lorraine ein solches Fach benutzen könnte – ihre ganz besonderen, streng geheimen Fliegen zum Anlocken von Forellen? »Es ist großartig«, sagte Reggie.
»Kann ich dir eine Frage stellen?«, sagte Reggie, den Blick auf das Geheimfach gerichtet.
»Schieß los.«
»Seid ihr, du und Lorraine … du weißt schon, seid ihr ein Paar oder so was?«
George schloss die Geheimtür. Ohne sich umzudrehen und sie anzusehen, antwortete er schließlich. »In gewissem Sinne.«
»Was bedeutet das?«
»Es bedeutet, dass wir zwei Erwachsene sind, die die Gesellschaft des anderen genießen.«
»Ihr werdet also nicht heiraten oder so was?«
George machte ein Geräusch, das halb ein Lachen und halb ein Schnauben war.
»Um Himmels willen, nein! Ich denke, wir sind beide glücklich mit dem Arrangement, wie es ist.«
»Aber warum so ein Geheimnis daraus machen?«
»Was wir tun, geht niemanden außer uns etwas an.«
»Weiß es meine Mom?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Also hast du es ihr nie gesagt. Niemals darüber geredet?«
»Nein. Warum sollte ich? Ich brauche nicht Veras Erlaubnis, um ein Privatleben zu haben.«
Reggie lachte. »Weißt du, sie dachte, du würdest wegen ihr so viel Zeit bei uns verbringen. Das hat sie mir erzählt. Sie sagte, du wärst mit ihr ausgegangen, aber du wärst einfach nicht ihr Typ. Sie dachte, du wärst ziemlich sauer und todunglücklich.«
Georges Augen wurden groß. »Ja, ich bin mit ihr ausgegangen. Aber das waren keine Verabredungen! Wir sind als Freunde ausgegangen.«
»Ich denke nicht, dass sie das so gesehen hat«, sagte Reggie.
George wandte sich wieder der Plattform des Schrankes zu, fummelte unnötigerweise daran herum. »Ich schätze,
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