DAS 5. OPFER
angestrengt hatte, dabei zu helfen, Geld für alles, von Krebsforschung bis zur Rettung des Connecticut River vor der Verschmutzung, zu sammeln.
Er setzte sich auf den gepolsterten Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Reggie blieb stehen.
»Was hat sie gesagt?«, fragte er, während sein großes, fleischiges Gesicht sich zu verfärben begann.
»Wer?«
»Deine Mutter. Was auch immer es war, du kannst verdammt sicher sein, dass nicht einmal ein Körnchen Wahrheit darin steckt.«
»Sie hat gar nichts zu mir gesagt.«
Wenn sie es doch nur getan hätte, dachte Reggie. Wenn sie mir doch nur genug vertraut hätte, um mir die Wahrheit zu sagen. Nicht nur sie, sondern auch Lorraine und George. Sie hatten sie wie eine Art Puppe behandelt, die zu zart war, die Last der Wahrheit zu ertragen.
Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war sie das.
Sie konnte bereits spüren, wie sich kleine Sprünge bildeten, die stellenweise rau und rissig wurden, sich dort öffneten, wo Tara mit der Rasierklinge über ihre Haut gefahren war. Schweiß tropfte in den Schnitt, brannte wie Säure.
»Nun, mit wem hast du dann gesprochen?«, wollte Bo zu wissen.
»Das ist nicht von Bedeutung. Was von Bedeutung ist, ist, was ich gehört habe.«
»Und was hast du gehört?«
»Dass meine Mutter im Herbst 1970 aus New York zurückkam, um mit dir zusammen zu sein. Dass du ihr ein Apartment besorgtest, versprachst, deine Frau zu verlassen, und dann Schluss mit ihr gemacht hast. Stimmt das?«
Sein Gesicht veränderte die Farbe, von Rosa zu Rot. »Ich möchte, dass du gehst, Regina. Du hast nicht das Recht, hierherzukommen und so mit mir zu reden.«
»Ist es wahr?«
Er strich mit einer Hand über seinen Schnurrbart, als wollte er Krümel wegwischen.
»Bist du mein Vater?«, fragte sie abrupt. Sie konnte nicht glauben, dass sie es laut gesagt hatte, aber das hatte sie, jetzt konnte sie es nicht mehr zurücknehmen. Sie beugte sich vor, stützte ihre Hände am Rand des Tisches ab, suchte in seinem Gesicht nach irgendeiner Spur von sich selbst.
Bo hatte jetzt die Farbe von Roter Bete angenommen und war feuchtgeschwitzt. »Dein Vater …«, stammelte er.
»Ich will gar nichts von dir. Ich will nur …«
Was wollte sie? Eine Entschuldigung? Irgendeine Erklärung, die ihr helfen würde zu verstehen, warum alle Erwachsenen in ihrem Leben Lügen aufgeschichtet hatten, sie über die Jahre süß und dick aufgetragen hatten wie bei einer widerlichen Torte, die dafür sorgen sollte, dass sie sich glücklich und geliebt fühlte, die aber heimlich mit Gift versetzt worden war.
»Jeder könnte dein Vater sein!«, sagte Bo; die Worte trafen Reggie mitten in die Brust, wie ein Pfeil.
»Aber wenn meine Mutter mit dir gelebt hat …«
»Deine Mutter ist eine Hure, Regina.« Er spie die Worte mit ungeheurer Wut aus. »Hast du dir das nicht mittlerweile selbst zusammengereimt?«
Reggie starrte ihn an, ihr Herz schlug bis in ihren Hals hinauf. Sie ließ den Schreibtisch los, taumelte rückwärts. Der Schmerz in ihrem Bein pulsierte und blühte mit jedem Herzschlag wieder auf. Sie blickte nach unten und sah, wie das Blut ihre Trainingshose durchtränkte und sie als das brandmarkte, was sie wirklich war: ein Bastard-Mädchen, das sich selbst schnitt, mit einer Hure zur Mutter.
»Sie würde es mit jedem treiben, der ihr ein Glas Gin spendiert.«
Jetzt war es Reggies Gesicht, das sich zu verfärben begann. Sie fühlte sich schwindlig, und ihre Knie wurden weich. Sie wünschte, sie könnte sich einfach völlig in Luft auflösen, in einer Rauchwolke verschwinden, wie ein Mädchen in einer Zaubervorführung.
»Du willst die Wahrheit, junge Dame? Hier ist die Wahrheit: Sie lebte mit mir zusammen, als sie zurückkam, aber es hielt nicht. Nicht, nachdem ich erfahren hatte, was sie im Schilde führte. Dass sie abends mit anderen Männern ausging. Es ist wie eine Krankheit. Dieses Bedürfnis, dieser Zwang bewundert zu werden, Männer wie gottverdammte Hunde um sich kämpfen zu sehen.« Seine Augen blitzten. »Das ist es, was sie getötet hat.«
Reggie machte einen Schritt zurück, schwankte ein wenig. »Sie ist nicht tot«, sagte Reggie. »Noch nicht.«
Er starrte sie an wie etwas, das klein und weit weg war, etwas, auf das er sich wirklich konzentrieren musste. »Ich bedaure dich, Regina. Wirklich. Von dieser Frau geboren worden zu sein. Ihr Blut zu haben, das durch deine Adern fließt. Ich weiß nicht, wer dein Vater ist, aber ich bin es nicht. Sie hat es mir selbst
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