DAS 5. OPFER
du dich an mich, Reggie Dufrane?«
Er blinzelte zweimal. Ein Spuckfaden tropfte auf sein schlichtes weißes T-Shirt.
Sie streckte die Hand aus, legte sie auf seine und drückte sie. Seine Hand war heiß und klebrig.
»Ich weiß, dass du dich nicht erinnerst, Sid, aber es tut mir leid. Was passierte, war ein Unfall, aber …«
»Warum bist du hier?«, fragte er. Das Sprechen schien anstrengend zu sein, sie konnte sehen, wie sich seine Gesichts- und Nackenmuskeln anspannten und zuckten, als er die Worte herausbrachte. Seine Stimme war langsam und knarrte, als würde man den Deckel einer Kiste öffnen, aber sie konnte ihn verstehen.
»Ich habe gerade deinen Vater besucht.«
Er lächelte. »Bo-Bo.«
»Ja«, sagte Reggie. »Bo. Er und meine Mom, Vera, sie sind damals in der Highschool miteinander gegangen. Bevor er deine Mom traf. In einem anderen Leben.«
Er lächelte wieder, ließ seinen Kopf fallen, hob ihn dann wieder hoch, während er sich konzentrierte, mehr Worte herauszubekommen. »Hübsches Mädchen«, sagte er, Speichel bedeckte seine untere Lippe.
»Deine Mom? Ich bin sicher, dass sie das war. Ich bin sicher, dass sie schön war.«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht sie«, sagte er langsam und runzelte die Stirn. »Das Mädchen, das Yogi stahl.«
*
LORRAINE WAR IN DER Küche und machte sich eine Tasse Tee, als Reggie hereinkam.
»Möchtest du einen?«, fragte Lorraine und hielt ihren Becher hoch.
»Sicher«, sagte Reggie. Sie sah zu, wie ihre Tante eine zweite Tasse herausholte, einen Teebeutel hineinfallen ließ und sie mit Wasser aus dem Kessel auffüllte.
»Du hast einen Anruf von einer Schwester Dolores bekommen. Sie sagte, sie hätte für heute Feierabend, aber dass sie morgen zurückrufen würde.«
Reggie nickte. Warum hatte die Nonne sie nicht auf ihrem Mobiltelefon angerufen? Sie hatte beide Nummern hinterlassen.
»Detective Levi ist auch vorbeigekommen.«
»Was wollte er?«
Lorraine zuckte die Achseln. »Das übliche, schätze ich. Er hat ein paar Minuten lang versucht, mit deiner Mutter zu sprechen, aber du weißt, wie das abläuft.«
»Was hat er sie gefragt?«
»Hauptsächlich nach Tara. Dann, ob sie ihm überhaupt irgendetwas über Neptun sagen könnte.«
»Ich bin sicher, dass sie sehr entgegenkommend war.«
»Tatsächlich hat sie ein Lied für ihn gesungen: ›Oh, do you know the Muffin Man‹.«
Reggie lachte.
Lorraine füllte ein kleines Sahnekännchen in Form einer Kuh mit fettarmer Milch und trug es zum Tisch.
»War das Charlie Berr, der dich abgesetzt hat?«, fragte Lorraine.
»Ja«, sagte Reggie widerstrebend, während sie ihren Tee anhob und einen Schluck nahm, wobei sie sich den Gaumen verbrannte.
»Du siehst ihn ziemlich häufig.«
»Wir sind alte Freunde«, sagte Reggie. »Das ist alles.« Charlie und sein Rolling-Stones-T-Shirt, das frische Aftershave, das er trug, als er sich mit ihr traf. Hoffte er, dass sich mehr daraus entwickelte?
Lorraine nickte, rührte Milch in ihren eigenen Tee. »Also, gibt es da einen Mann in deinem Leben?«
»Nein«, sagte Reggie zu schnell. »Ich meine, ja. Vielleicht.« Sie zog den Teebeutel aus ihrer Tasse, spielte mit dem Etikett, dass mit einer winzigen Heftklammer an dem Faden befestigt war.
Lorraine lächelte sie an. »Es ist nicht gut, alleine zu sein, Regina.«
Reggie nickte, ihre Finger fummelten ein bisschen an der Heftklammer herum, öffneten sie. Dann, als ihr klar wurde, was sie tat, legte sie sie weg.
»Ich weiß nicht, was ich ohne George tun würde. Er ist meine Rettungsleine. Besonders jetzt.«
Reggie nahm einen weiteren Schluck von ihrem Tee. Was für ein merkwürdiges Paar sie abgaben, Lorraine und George. Aber irgendwie passten sie perfekt zusammen. Beide waren sie irgendwie verloren und unbeholfen, zwei Außenseiter. George mit seinen Enten, Lorraine mit ihren Fischen. Reggie fand es irgendwie liebenswert, dass ihre Beziehung so viele Jahre überdauert hatte. Sie hatten nie geheiratet, niemals auch nur zusammengelebt. Sie hatten ihre eigene Definition einer Romanze gefunden: Sie kochten ein paar Mal die Woche zusammen das Abendessen, George fuhr Lorraine zu Arztterminen und zum Einkaufen. Lorraine flickte alle seine Sachen.
Würden sie und Len in den kommenden Jahren so sein? Jeder hatte seinen getrennten Bereich, und sie kamen zusammen, wenn sie einander brauchten?
Vielleicht waren sie und ihre Tante im Grunde gar nicht so verschieden.
Lorraine stellte ihre Tasse ab und wandte sich an Reggie: »Ich
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