DAS 5. OPFER
Telefon heraus und rief die Auskunft an, fragte nach Bo Berrs Nummer. Sie bekam sie und tippte sie ein.
Frances nahm ab. »Hallo?«
»Mrs Berr, hier spricht Reggie Dufrane. Ich hatte gehofft, ich könnte mit Ihrem Mann sprechen.«
»Er ruht sich aus. Ich fürchte, Ihr Besuch hat ihn ermüdet. Und er hat gerade erst seine Schmerztabletten bekommen.«
»Bitte, es dauert nur eine Minute. Ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.«
Frances legte den Hörer hin und Reggie hörte gedämpfte Stimmen. Dann ging Bo mit einem benommenen »Hallo?« ans Telefon.
»Mr Berr. Hier spricht Reggie Dufrane. Da ist etwas, das Sie vorhin gesagt haben, über das ich nachgedacht habe.«
»Ist das so?« Er lallte nur ein ganz klein wenig.
»Sie sagten, dass an dem Morgen, nachdem Sie meine Mutter abgesetzt hatten, Ihr Bruder sie besuchte, um Sie zu befragen. Sind Sie sicher, dass es an jenem Morgen war?«
Ein paar nasse Huster und ein Räuspern.
»Ja, es war früh am Morgen. Gleich nachdem sie die Hand gefunden hatten, denke ich. Er wusste sofort, dass ich derjenige war, der Vera an der Bar abgesetzt hatte. Er war es, der mir sagte, dass es Veras Hand war.«
Reggie fiel nur ein Grund ein, warum Stu gewusst hatte, dass es Bo gewesen war, der sie abgesetzt hatte.
Ein Kälteschauer durchfuhr Reggie. Die Hand, die ihr Mobiltelefon hielt, begann zu zittern.
»Danke, Mr Berr. Passen Sie auf sich auf.«
Sie legte auf und vergrub die winzige Heftklammer aus dem Teebeutel, von der sie sich nicht einmal daran erinnerte, sie mit nach oben genommen zu haben, tief in der Haut ihres Daumens.
TAG VIER
Auszug aus Neptuns Hände:
Die wahre Geschichte der ungelösten Morde von Brighton Falls
Von Martha S. Paquette
Es ist beinahe schon ein Klischee: Nachdem ein Mörder zur Rechenschaft gezogen worden ist, treten seine Nachbarn und Arbeitskollegen in völligem Unglauben vor und sagen, was für ein netter Kerl er war. Er ging jeden Tag zur Arbeit. Sorgte dafür, dass sein Rasen gemäht war. Er schien durchaus freundlich. Er fügte sich ein, tarnte sich mühelos, ging als normal durch.
Ich glaube fest daran, dass das genau das ist, was die Leute über Neptun sagen würden.
Er ist jedermann und niemand. Jemand, an dem man auf der Straße vorbeigeht und über den man nicht weiter nachdenkt. Er besitzt wahrscheinlich ein Haus und lebt allein. Er ist ein intelligenter Mann. Er ist methodisch. Geduldig. Er sieht vermutlich gut aus, ist sogar charmant – es gab keine Anzeichen dafür, dass auch nur eine dieser Frauen sich wehrte, als er sie entführte. Sie müssen freiwillig mitgegangen sein, müssen ihrem Mörder bis ganz zum Ende vertraut haben.
36 23. Oktober 2010 – Brighton Falls
REGGIE HIELT VOR Stu Berrs Haus und sah einen Pickup in der Einfahrt stehen. Sie hatte daran gedacht, vorher anzurufen, aber entschieden, dass ein Überraschungsbesuch bessere Ergebnisse bringen könnte.
Sie hoffte nur, dass auf sie keine Überraschungen warteten: wie ein in Äther getränkter Lappen und eine chirurgische Säge.
Hör auf, sagte sie sich.
Ihr Telefon klingelte. Wieder Len. Sie nahm ab, dachte, dass seine Stimme zu hören sie beruhigen könnte, ihre Hände davon abhalten würde, zu zittern, und dazu beitragen könnte, ihr die Kraft und den Mut zu geben, die sie brauchte, um an Stus Tür zu klopfen.
»Du hast nicht angerufen«, sagte Len.
»Es tut mir leid«, sagte Reggie zu ihm. »Ich habe mich ein wenig von den Ereignissen hier mitreißen lassen. Ich denke, ich weiß, wer Neptun ist.«
»Gott im Himmel! Wer?«
»Charlies Dad. Stu Berr.« Sie blickte über die Straße zu dem gepflegten kleinen Farmhaus, sah, wie sich drinnen etwas bewegte. »Er war der die Ermittlung leitende Detective im Neptunfall, und jetzt stellt sich heraus, dass er und meine Mom damals in der Highschool miteinander ausgegangen sind. Ich denke, er ist niemals über sie hinweggekommen. Ich denke …«
»Bist du zur Polizei gegangen, Reg?«
»Noch nicht. Ich habe keinerlei Beweise. Und er war selbst Polizist, also kompliziert das die Dinge ein wenig.«
»Hör zu«, sagte Len. »Ich bin auf dem Weg.«
»Was? Nein, ich kann …«
»Keine Diskussion. Ich werde in ungefähr drei Stunden da sein, hängt vom Verkehr ab. Ich will, dass du nichts tust, bis ich dort bin, okay? Bleib einfach zu Hause und schließ die Türen. Wir werden uns den nächsten Schritt überlegen, sobald ich angekommen bin. Abgemacht?«
»Okay«, sagte Reggie und dachte, dass sie
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