DAS 5. OPFER
führte es zu ihrem Mund und begann zu kauen. Butter tropfte von ihrem Kinn. Sie kaute sehr lange. Als sie es schließlich hinunterschluckte, schien sie ein wenig zu würgen.
»Gutes Mädchen«, sagte Neptun. Er war jetzt nur noch Neptun, nicht der George, den Reggie ihr ganzes Leben gekannt hatte, der George, der ihr Vater war. »Jetzt genieß dein Abendessen, während ich mich um unseren neuen Gast kümmere.«
Er ging langsam zu Reggie hinüber, lächelnd, genoss jede Sekunde davon. Seine Hände steckten tief in seinen Taschen, sein Blick lag auf Reggies Gesicht. Suchte er dort nach Spuren von sich selbst? Verspürte er einen Hauch von Bedauern darüber, dass er kurz davor stand, die Hand seiner eigenen Tochter abzuschneiden?
»Kann ich dich etwas fragen?«, sagte Reggie.
Er nickte. Er war jetzt neben ihr, blickte immer noch auf sie hinab. Sie wusste, dass er jeden Augenblick seine Aufmerksamkeit auf das Tablett mit den Werkzeugen richten und das fehlende Skalpell bemerken würde. Sie konnte fühlen, wie es in ihrem Ärmel steckte, es lag kühl an ihrem Handgelenk. Sie musste ihn nur nah genug heranbekommen, ihn überraschen.
»Hatte sie dir gesagt, dass sie dich heiraten würde? Warst du derjenige, von dem sie allen erzählt hatte?«
Er wandte sich ab und verzog vor Abscheu sein Gesicht. »Nein. Ich hatte sie gefragt, ja. Das erste Mal gleich nachdem sie mir erzählt hatte, dass sie schwanger war. Ich hatte sie zum Abendessen ausgeführt, in ihr Lieblingsrestaurant, Harry’s Steakhaus, unten an der Küste. Wir bestellten Hummer, und ich ließ einen Kellner eine Flasche Champagner bringen.« Er hatte einen wehmütigen, weit entrückten Ausdruck in den Augen. »Ich bin auf die Knie gegangen, habe ihr einen Ring angeboten. Und weißt du, was sie tat?« Er starrte auf Reggie herunter, Wut hatte die Wehmut verdrängt. »Sie lachte. Sie lachte doch tatsächlich.«
Reggie schüttelte den Kopf. Sie erinnerte sich daran, wie sie über Lens betrunkene Idee, dass sie beide zusammenziehen sollten, gelacht hatte. Wie die Mutter, so die Tochter.
»Es tut mir leid«, sagte sie und verstand plötzlich die Szene vor sich.
Neptun drehte sich von ihr weg und beobachtete, wie Tara gehorsam Hummerbissen hinunterwürgte. Tränen strömten über Taras Gesicht, aber sie machte keine Geräusche, wie man sie beim Weinen macht.
»Aber ich gab nicht auf. Ich habe sie jahrelang immer wieder gefragt. Selbst als ich mit Lorraine zusammen war, sagte ich Vera, dass das Angebot immer stände. Ich konnte ihr ein gutes Leben bieten. Ein nettes Zuhause. Dir ein richtiger Vater sein. Für euch beide sorgen. Aber sie sagte jedes Mal Nein.«
»Doch dann sagte sie zu jemand anderem Ja«, riet Reggie. Sie versuchte, ein wenig angeekelt zu klingen, als wäre sie auf seiner Seite, würde den Schmerz und die Qualen verstehen, die er wegen ihrer Mutter durchgemacht hatte.
Er wandte sich wieder ihr zu, sah eher wie ein Liebender mit gebrochenem Herzen als wie ein heimtückischer Mörder aus. »Ich habe nie herausgefunden, wer es war«, sagte er. »Aber sie war sehr aufgeregt. Sie wollte das tatsächlich durchziehen. Versuchen, das märchenhafte, normale Leben zu haben, das sich ihr immer entzogen hatte. Ich versuchte, es ihr zu erklären. Dass niemand sie so lieben könnte, wie ich es tat. Ich flehte sie an, es sich anders zu überlegen. Sich stattdessen für mich zu entscheiden.«
»Es war nicht fair«, sagte Reggie. »Dass sie ihn dir vorzog. Du warst all die Jahre für sie da gewesen. Du hattest ihr so viel gegeben.«
Seine Mundwinkel zuckten, blieben dann nach unten gezogen. »Das Leben ist nicht fair, Reggie. Das habe ich vor langer Zeit gelernt. Du hast das ebenfalls erfahren, nicht wahr?«
Reggie verstand es, so verdreht das Ganze auch war. George hatte Vera sein ganzes Leben lang geliebt, sein Bestes getan, um sie für sich zu gewinnen, hatte Jahr für Jahr Zurückweisungen erleiden müssen. Hatte gesehen, wie diese Frau, die er liebte, ihr eigenes Leben wegwarf, trank und mit einem Verlierer nach dem anderen ausging. Und wenn sie in Schwierigkeiten geriet, dann war George für sie da gewesen. Dann, als sie sich endlich entschied, zu heiraten und sich niederzulassen, da hatte sie sich für jemand anderen entschieden. Es erschien grausam. Als er die Nachricht hörte, war etwas in ihm zerbrochen. Und er hatte jemanden bestrafen müssen. Doch er konnte sich nicht dazu überwinden, sie zu verletzen – noch nicht.
Die anderen Frauen –
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