Das 6. Buch des Blutes - 6
seiner Rückkehr hatte Harry den Geruch kochender Exkremente bemerkt, dann kam Mimis Aufschrei »Schwule Sau!«, während sich Hesse einem Akt fügte, den ihm sein Glauben zu lange verboten hatte. Danach hatte keine Stille mehr geherrscht, lange Zeit nicht: nur Hesses Schreie und Harrys Flehen um die Gabe des Vergessens. Alle waren unerhört geblieben.
Ihm schien, als vernähme er jetzt die Stimme des Dämons, seine Forderungen, seine Einladungen. Aber nein, es war nur Valentin. Der Mann warf den Kopf im Schlaf hin und her, sein Gesicht war verkniffen. Plötzlich schrak er vom Stuhl hoch, ein Wort auf den Lippen: »Swann!«
Er riß die Augen auf, und als er den Leichnam des Illusionisten erblickte, der auf dem Stuhl gegenüber saß, kamen ihm unbeherrschte Tränen und schüttelten ihn.
»Er ist tot«, sagte er, als hätte er diese bittere Tatsache im Traum vergessen.
»Ich habe ihn im Stich gelassen, D’Amour. Darum ist er tot.
Durch mein Versagen.«
»Sie tun jetzt Ihr Bestes für ihn«, entgegnete Harry, wußte aber, daß die Worte nur ein schwacher Trost waren. »Niemand könnte sich einen besseren Freund wünschen.«
»Ich war nie sein Freund«, sagte Valentin und betrachtete den Leichnam mit tränenden Augen. »Ich hatte immer gehofft, daß er mir eines Tages rückhaltlos vertrauen würde. Aber das hat er nie getan.«
»Warum nicht?«
»Er konnte es sich nicht leisten, irgend jemandem zu trauen.
Nicht in seiner Situation.« Er wischte sich mit dem Handrükken die Wangen ab.
»Vielleicht«, sagte Harry, »ist es an der Zeit, daß Sie mir sagen, was das alles zu bedeuten hat.«
»Wenn Sie es hören wollen.«
»Ich will es hören.«
»Nun denn«, sagte Valentin. »Vor zweiunddreißig Jahren hat Swann einen Pakt mit der Unterwelt geschlossen. Er willigte ein, ihr Botschafter zu sein, wenn sie ihm als Gegenleistung Magie gaben.«
»Magie?«
»Die Gabe, Wunder zu tun. Materie zu verwandeln. Seelen zu verhexen. Sogar, Gott auszutreiben.«
»Das ist ein Wunder?«
»Es ist schwieriger, als Sie denken«, sagte Valentin.
»Demnach war Swann ein echter Zauberer?«
»Das war er.«
»Warum hat er seine Kräfte dann nicht eingesetzt?«
»Das hat er«, antwortete Valentin. »Er wandte sie jeden Abend an, bei jeder Vorstellung.«
Harry war baff. »Das verstehe ich nicht.«
»Der Fürst der Lügen bietet den Menschen nichts an, was auch nur den geringsten Wert hat«, sagte Valentin, »sonst würde er es nicht anbieten. Das wußte Swann nicht, als er sein Bündnis schloß. Aber er fand es bald heraus. Wunder sind nutzlos. Magie ist eine Ablenkung von den wahren Belangen.
Sie ist rhetorisch. Melodramatisch.«
»Und was genau sind die wahren Belange?«
»Das sollten Sie besser wissen als ich«, entgegnete Valentin.
»Vielleicht Kameradschaft? Neugier? Es ist ganz sicher völlig unerheblich, ob Wasser in Wein verwandelt werden oder Lazarus ein Jahr länger leben kann.«
Harry sah zwar das Argument ein, aber nicht, wie es den Magier zum Broadway gebracht hatte. Aber er brauchte nicht nachzufragen. Valentin hatte die Geschichte von neuem aufgegriffen. Mit dem Erzählen waren seine Tränen versiegt, sein Gesicht hatte wieder einen etwas lebhafteren Ausdruck bekommen.
»Swann brauchte nicht lange, um zu erkennen, daß er seine Seele für wertlosen Tand verkauft hatte«, erklärte er. »Und als ihm das klar wurde, war er untröstlich. Jedenfalls eine Weile.
Dann schmiedete er Rachepläne.«
»Wie?«
»Indem er den Namen der Hölle wegen nichts anrief. Indem er die Magie, derer sie sich rühmte, als triviale Unterhaltung benutzte. Er entwertete die Macht der Unterwelt, indem er deren Wunderwirken als bloße Illusion darstellte. Sehen Sie, es war eine Tat heroischer Perversion. Jedesmal, wenn ein Kunststück von Swann als Taschenspielertrick abgetan wurde, schäumten die Mächte der Unterwelt.«
»Warum haben sie ihn nicht umgebracht?«
»Oh, das haben sie versucht. Häufig. Aber er hatte Verbündete. Agenten in ihren eigenen Reihen, die ihn über die Ränke informierten, die gegen ihn geschmiedet wurden. Auf diese Weise konnte er ihren Nachstellungen jahrelang entkommen.«
»Bis jetzt?«
»Bis jetzt.« Valentin seufzte. »Er war leichtsinnig, und ich auch. Jetzt ist er tot, und die Mächte der Unterwelt sind scharf auf ihn.«
»Ich verstehe.«
»Aber wir waren auf diesen Fall nicht völlig unvorbereitet.
Er hatte dem Himmel Abbitte geleistet, und ich wage zu hoffen, daß ihm seine Vergehen verziehen
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