Das 6. Buch des Blutes - 6
schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte: »Ihr Arm.
Sind Sie verletzt?«
»Unbedeutend«, antwortete er.
»Ich wollte den Verband schon erneuern«, sagte Harry.
»Aber der Kerl ist dickköpfig.«
»Dickköpfig bin ich«, antwortete Valentin ohne Reue.
»Aber wir werden hier bald fertig sein…« sagte Harry.
Valentin unterbrach ihn. »Erzählen Sie ihr nichts«, fauchte er.
»Ich wollte gerade die Sache mit dem Schwager erklären…«
sagte Harry.
»Dem Schwager?« sagte Dorothea und setzte sich. Das Seufzen, als sie die Beine übereinanderschlug, war das bezauberndste Geräusch, das Harry in den letzten vierundzwanzig Stunden gehört hatte. »O bitte, erzählen Sie mir von dem Schwager…«
Bevor Harry den Mund aufmachen und reden konnte, sagte Valentin: »Das ist sie nicht, Harry.«
Die Worte, so beiläufig ausgesprochen, brauchten ein paar Sekunden, bis sie bei Harry ankamen. Und selbst als er sie verstanden hatte, sah er nur Irrsinn darin. Dorothea war leibhaftig hier, in jeder Einzelheit perfekt.
»Wovon sprechen Sie?« fragte Harry.
»Wie deutlich soll ich es denn noch sagen?« antwortete Valentin. »Das ist sie nicht. Es ist ein Trick. Eine Illusion. Sie wissen, wo wir sind, und sie haben das da geschickt, um unsere Verteidigung auszuspionieren.«
Harry hätte gelacht, hätten diese Anschuldigungen Dorothea nicht die Tränen in die Augen getrieben. »Hören Sie auf«, sagte er zu Valentin.
»Nein, Harry. Denken Sie doch mal einen Augenblick nach.
Alle Fallen, die sie ausgelegt, alle Bestien, die sie aufgeboten haben. Glauben Sie, Dorothea hätte denen allen entkommen können?« Er ging vom Fenster weg und auf Dorothea zu. »Wo ist Butterfield?« schnauzte er sie an. »Ist er im Flur und wartet auf dein Zeichen?«
»Seien Sie still«, sagte Harry.
»Er hat Angst, selbst heraufzukommen, nicht?« fuhr Valentin fort. »Angst vor Swann, und möglicherweise auch Angst vor uns, nachdem wir seinen Handlanger ausgeschaltet haben.«
Dorothea sah Harry an. »Er soll aufhören«, sagte sie.
Harry hielt Valentin mit einer Hand, die er gegen dessen knochige Brust stemmte, auf. »Sie haben die Dame gehört«, sagte er.
»Das ist keine Dame«, antwortete Valentin mit blitzenden Augen. »Ich weiß nicht, was es ist, aber keine Dame.«
Dorothea stand auf. »Ich bin hierhergekommen, weil ich hoffte, ich würde hier sicher sein«, sagte sie.
»Sie sind sicher«, sagte Harry.
»Wenn er hier ist, nicht«, antwortete sie und sah Valentin an.
»Ich halte es für besser, wenn ich gehe.«
Harry berührte ihren Arm. »Nein«, sagte er zu ihr.
»Mr. D’Amour«, sagte sie liebenswürdig, »Sie haben sich Ihr Honorar bereits zehnfach verdient. Ich finde, ich sollte jetzt die Verantwortung für meinen Mann übernehmen.«
Harry studierte das unschuldige Gesicht. Es enthielt keine Spur von Täuschung.
»Ich habe das Auto unten«, sagte sie. »Ich habe mich gefragt… könnten Sie ihn für mich nach unten tragen?«
Harry hörte hinter sich einen Laut wie von einem in die Enge getriebenen Hund und drehte sich um. Er sah Valentin, der neben dem Leichnam stand. Er hatte das elektrische Tischfeuerzeug aufgehoben und drückte die Zündtaste. Funken stoben, aber es kam keine Flamme.
»Was, zum Teufel, machen Sie da?« wollte Harry wissen.
Valentin sah nicht den Sprecher an, sondern Dorothea. »Sie weiß es«, sagte er.
Jetzt hatte er den Dreh raus. Die Flamme loderte auf.
Dorothea gab einen leisen, verzweifelten Ton von sich.
»Bitte nicht«, sagte sie.
»Sollte es notwendig sein, verbrennen wir alle mit ihm«, sagte Valentin.
»Er ist verrückt.« Plötzlich waren Dorotheas Tränen verschwunden.
»Sie hat recht«, sagte Harry zu Valentin, »Sie benehmen sich wie ein Verrückter.«
»Und Sie sind ein Narr, weil Sie auf ein paar Tränen hereinfallen!« lautete die Antwort. »Sehen Sie denn nicht ein, daß wir alles verlieren, wofür wir gekämpft haben, wenn sie ihn mitnimmt?«
»Hören Sie nicht auf ihn«, murmelte sie. »Sie kennen mich, Harry, Sie vertrauen mir.«
»Was verbirgt sich hinter deinem Gesicht?« sagte Valentin.
»Was bist du? Ein Koprolith? Homunkulus?«
Die Namen sagten Harry nichts. Er spürte nur die Nähe der Frau neben sich, ihre Hand auf seinem Arm.
»Und was ist mit Ihnen?« sagte sie zu Valentin. Dann, sanfter: »Zeigen Sie uns doch Ihre Verletzung.«
Sie verzichtete auf Harrys Schutz und ging zum Schreibtisch.
Die Flamme des Feuerzeugs flackerte, als sie näher kam.
»Los
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