Das 6. Buch des Blutes - 6
wurden. Beten wir, daß es so ist. Heute nacht steht mehr als nur seine Erlösung auf dem Spiel.«
»Ihre auch?«
»Alle, die ihn geliebt haben, sind gefährdet«, antwortete Valentin, »aber wenn wir seine sterblichen Überreste vernichten können, bevor die Mächte der Unterwelt sie bekommen, entgehen wir vielleicht den Folgen seines Pakts.«
»Warum haben Sie so lange gewartet? Warum haben Sie ihn nicht einfach gleich verbrannt, nachdem er gestorben war?«
»Ihre Anwälte sind keine Narren. Der Vertrag sieht ausdrücklich eine Aufbahrungszeit vor. Hätten wir diese Klausel mißachtet, wäre seine Seele automatisch verloren gewesen.«
»Und wann ist diese Zeit zu Ende?«
»Vor drei Stunden, um Mitternacht«, antwortete Valentin.
»Sehen Sie, darum sind sie so verzweifelt. Und so gefährlich.«
Während er die Eighth Avenue entlangstapfte und ein Thunfischsandwich verzehrte, fiel Byron Jowitt noch ein Gedicht ein. Seine Muse ließ sich nicht hetzen. Es konnte bis zu fünf Minuten dauern, bis ein Gedicht fertig war, und noch länger, wenn es einen doppelten Reim hatte. Daher beeilte er sich nicht, als er zum Büro zurückging, sondern schlenderte in verträumter Stimmung dahin und drehte die Verse in jede Richtung, bis sie paßten. Er hoffte, er könne auf diese Weise mit einem weiteren fertigen Gedicht dort eintreffen. Zwei in einer Nacht waren verdammt gut.
Aber als er vor der Tür stand, hatte er die letzte Strophe noch nicht fertig. Geistesabwesend kramte er in der Tasche nach den Schlüsseln, die D’Amour ihm gegeben hatte, sperrte auf und ging hinein. Er wollte die Tür gerade wieder schließen, als eine Frau durch den Spalt trat und ihn anlächelte. Sie war eine Schönheit, und als Dichter war Byron der Schönheit verfallen.
»Bitte«, sagte sie zu ihm. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Byron mit vollem Mund.
»Kennen Sie einen Mann namens D’Amour? Harry D’Amour?«
»Den kenne ich. Ich gehe gerade zu ihm hinauf.«
»Vielleicht könnten Sie mir den Weg zeigen?« fragte ihn die Frau, während Byron die Tür zumachte.
»Ist mir ein Vergnügen«, antwortete er und führte sie durch die Halle zur Treppe.
»Sie sind sehr lieb, wissen Sie«, sagte sie zu ihm; und Byron schmolz dahin.
Valentin stand am Fenster.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Harry.
»Nur ein Gefühl«, bemerkte Valentin. »Ich habe den Verdacht, daß der Teufel in Manhattan ist.«
»Ist das etwas Neues?«
»Vielleicht kommt er zu uns.« Wie auf ein Stichwort hin, klopfte es an der Tür. Harry zuckte zusammen.
»Keine Bange«, sagte Valentin. »Er klopft niemals an.«
Harry, der sich wie ein Narr vorkam, ging zur Tür. »Sind Sie das, Byron?« fragte er, bevor er aufschloß.
»Bitte«, sagte eine Stimme, von der er geglaubt hatte, er würde sie nie wieder hören. »Helfen Sie mir…«
Er machte die Tür auf. Es war natürlich Dorothea. Sie war so farblos wie Wasser, und ebenso unberechenbar. Noch bevor Harry sie gebeten hatte, das Büro zu betreten, wechselten ihre Mienen etwa ein dutzendmal: Zorn, Argwohn, Entsetzen. Und jetzt, als ihr Blick auf den geliebten Swann fiel, Erleichterung und Dankbarkeit.
»Sie haben ihn«, sagte sie und betrat das Büro.
Harry machte die Tür zu. Kälte kam von der Treppe herein.
»Gott sei Dank. Gott sei Dank.« Sie umfaßte Harrys Gesicht mit beiden Händen und küßte ihn sanft auf die Lippen. Erst dann bemerkte sie Valentin. Sie ließ die Hände sinken. »Was hat er hier zu suchen?« fragte sie.
»Er gehört zu mir. Zu uns.«
Sie schien zu zweifeln. »Nein«, sagte sie.
»Wir können ihm vertrauen.«
»Ich habe gesagt, nein! Schaffen Sie ihn raus, Harry.« Sie hatte eine kalte Wut in sich, die sie schüttelte. »Schaffen Sie ihn raus!«
Valentin sah sie mit gläsernen Augen an. »Die Dame schreit gar zu sehr.«
Dorothea preßte die Finger auf die Lippen, als wollte sie weitere Ausbrüche unterdrücken. »Es tut mir leid«, sagte sie und wandte sich wieder an Harry, »aber Sie müssen erfahren, wozu dieser Mensch fähig ist…«
»Ohne ihn wäre Ihr Mann immer noch im Haus, Mrs.
Swann«, erklärte Harry. »Ihm sollten Sie dankbar sein, nicht mir.«
Daraufhin wurde Dorotheas Ausdruck sanfter, er verwandelte sich von Verblüffung in eine neue Sanftmut. »Oh?« sagte sie. Dann sah sie wieder zu Valentin. »Tut mir leid. Als Sie aus meinem Haus verschwunden sind, vermutete ich eine Verbrüderung …«
»Mit wem?« wollte Valentin wissen.
Sie
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