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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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bestürzte ihn. Die Kreatur erinnerte, trotz ihres Schreis, immer noch an eine Frau, die er hätte lieben können.
    »Gut«, sagte Valentin, während das Blut in Strömen auf den Boden des Büros spritzte. »Jetzt muß es sich zeigen!«
    Als sie das hörte, schüttelte sie den Kopf. »Mehr gibt es nicht zu zeigen«, sagte sie.
    Harry warf die Waffe weg. »Mein Gott«, sagte er leise, »sie ist es doch…«
    Dorothea verzog das Gesicht. Das Blut floß weiter.
    »Zumindest ein Teil von ihr«, antwortete sie.
    »Waren Sie immer auf ihrer Seite?« fragte Valentin.
    »Natürlich nicht.«
    »Warum jetzt?«
    »Es gibt kein Ziel…« sagte sie, und ihre Stimme wurde mit jeder Silbe schwächer. »Nichts, woran man glauben kann. Nur Lügen. Alles: Lügen.«
    »Also haben Sie sich mit Butterfield verbündet?«
    »Besser die Hölle«, sagte sie, »als ein falscher Himmel.«
    »Wer hat Ihnen das beigebracht?« murmelte Harry.
    »Was meinen Sie?« antwortete sie und sah ihn an. Ihre Kräfte strömten zusammen mit dem Blut aus, aber ihr Blick war immer noch strahlend. »Sie sind am Ende, D’Amour«, sagte sie. »Sie, der Dämon und Swann. Es ist niemand mehr da, der euch helfen könnte.«
    Trotz der Verachtung in ihren Worten brachte er es nicht fertig, einfach dazustehen und zuzusehen, wie sie verblutete. Er achtete nicht auf Valentins Anweisung, ihr fernzubleiben, und ging zu ihr. Als er in ihrer Reichweite war, schlug sie mit erstaunlicher Kraft nach ihm. Der Schlag blendete ihn einen Augenblick; er fiel gegen den hohen Aktenschrank, der zur Seite kippte. Er und der Schrank fielen gemeinsam zu Boden. Der Schrank spie Unterlagen aus, Harry Flüche. Er bekam am Rande mit, daß sich die Frau an ihm vorbeidrückte, um zu entkommen, aber er war zu sehr mit seinem brummenden Schädel beschäftigt, um sie aufzuhalten. Als er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, war sie verschwunden, nur noch ihre blutigen Handabdrücke auf Boden und Wänden waren da.
    Chaplin, der Hausmeister, beschützte sein Reich. Der Keller des Hauses war seine private Domäne, wo er den Büroabfall durchstöberte, seinen geliebten Heizofen fütterte und laut seine Lieblingsstellen in der Bibel las; und das alles ohne Angst, daß ihn jemand stören könnte. Seine Eingeweide – die alles andere als gesund waren – gönnten ihm wenig Schlaf. Ein paar Stunden pro Nacht, mehr nicht, was er durch Dösen tagsüber wettmachte. So schlimm war das nicht. Er konnte sich in die Abgeschiedenheit des Kellers flüchten, wenn das Leben oben zu anstrengend wurde. Und die Hitze hier unten brachte manchmal seltsame Wachträume.
    War das so ein Traum, dieser geschmacklose Bursche im feinen weißen Anzug? Wenn nicht, wie war er in den Keller gelangt, wo doch die Tür verschlossen und verriegelt war? Er stellte dem Eindringling keine Fragen. Die Art, wie der Mann ihn ansah, lähmte ihm die Zunge. »Chaplin«, sagte der Bursche, dessen dünne Lippen sich kaum bewegten, »ich möchte, daß Sie den Ofen aufmachen.«
    Unter anderen Umständen hätte er wahrscheinlich die Schaufel genommen und dem Burschen eins über den Kopf verpaßt.
    Der Ofen war sein Baby. Er kannte ihn wie kein anderer, seine Launen und gelegentliche Gereiztheit. Er liebte wie kein anderer das Brüllen, das er von sich gab, wenn er zufrieden war.
    Der herablassende Tonfall des Mannes gefiel ihm daher nicht.
    Aber er hatte den Willen, Widerstand zu leisten, verloren. Er holte sich einen Lappen, öffnete die rostige Tür und bot diesem Mann das heiße Herz des Ofens dar, so wie Lot seine Töchter in Sodom dem Fremden dargeboten hatte.
    Butterfield lächelte angesichts der Hitze, die aus dem Ofen drang. Er hörte drei Stockwerke weiter oben die Frau um Hilfe schreien, dann, Augenblicke später, einen Schuß. Sie hatte versagt. Er hatte es nicht anders erwartet. Aber ihr Leben wäre ohnedies verwirkt gewesen. Es war kein Verlust, daß er sie in die Bresche hatte springen lassen mit der geringen Hoffnung, sie könnte den Leichnam seinen Beschützern abjagen. Es hätte ihm zwar die Mühe eines Frontalangriffs erspart, aber einerlei.
    Swanns Seele zu bekommen rechtfertigte jeden Aufwand. Er hatte den guten Namen des Fürsten der Lügen geschmäht. Aus diesem Grund würde er leiden, wie vor ihm noch kein anderer ungläubiger Magier gelitten hatte. Verglichen mit Swanns Bestrafung würde die von Faust ein bloßes Ärgernis sein und die von Napoleon eine Vergnügungsfahrt.
    Als das Echo des Schusses verklang, holte er das

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