Das 8. Gestaendnis
wären wir, genau wie er, über einen Klippenrand gestürzt.
Wir hatten Glück, dass wir nicht auf einer von Claires Bahren lagen oder uns im Fernsehen einen Bericht über tote Kinder ansehen mussten, deren tränenüberströmte Eltern damit drohten, die Stadt zu verklagen, weil wieder einmal eine Verfolgungsjagd tödlich geendet hatte, während die Ansagerin mit traurigem Gesicht verkündete: »Die Bestattungsfeierlichkeiten für die Kinder der Familie Beckwith finden am Sonntag in der Kirche Our Sisters of the Sacred Heart statt.«
Der Kellner schenkte den Wein ein, und Jacobi probierte, erklärte ihn für hervorragend, hob vor dem Hintergrund der fröhlich plaudernden Tischgesellschaften mit den dicken Portemonnaies hinweg das Glas und prostete mir und Conklin zu.
»Danke«, sagte er. »Vom Polizeichef, dem Bürgermeister und ganz besonders von mir. Ich liebe euch.«
Jacobi lächelte, etwas, was ich bei ihm in den letzten zehn Jahren vielleicht zweimal gesehen hatte, dann beugte er sich über seine gebratenen Miesmuscheln und Conklin über die Ente am Spieß.
Ich hatte keinen Appetit.
Meine Gesichtsmuskeln waren wie versteinert, aber meine Gedanken jagten einander immer im Kreis um meinen Hirnstamm herum.
War Henry Wallis tatsächlich der High-Society-Killer?
Oder war er bloß irgendein Versager und Exknacki, der etwas zu verbergen gehabt hatte, ausgeflippt war und seinem Leben ein Ende gesetzt hatte?
Interessierte das außer mir eigentlich überhaupt jemanden?
67
Der gesunde Menschenverstand sprach zwar eindeutig dagegen, aber ich entdeckte an diesem Abend um neun Uhr im Büro der Bezirksstaatsanwaltschaft noch eine zuständige Staatsanwältin: die unermüdliche Kathy Valoy. Sie rief einen Richter an und besorgte uns einen Durchsuchungsbefehl für Henry Wallis’ Wohnung. Jetzt war es Mitternacht, und Conklin und ich waren vor Ort.
Wallis hatte in einem dreigeschossigen Haus in der Dolores Street gewohnt, nur wenige Querstraßen von der Torchlight Bar entfernt.
Wir klingelten so lange, bis wir den Hausbesitzer aufgeweckt hatten, einen untersetzten Mann namens Maury Silver. Er besaß eine beginnende Glatze, eine schiefe Zahnprothese, schlechten Atem und über seine Boxershorts hing ein fleckiges Arbeitshemd.
Silver besah sich durch den Türspalt hindurch unseren Durchsuchungsbefehl, las sich jedes Blatt mit Vorder- und Rückseite gründlich durch und ließ uns dann eintreten.
»Was ist denn mit Henry passiert?«, wollte er wissen. »Oh, nein . Soll das etwa heißen, dass er der Typ war, der über die Klippe gerast ist? Henry ist ein Killer ?«
Wallis’ Apartment lag im Erdgeschoss, nach hinten raus.
Wir knipsten die Deckenbeleuchtung an, klappten Mr. Silver die Tür vor der Nase zu und stellten die Wohnung auf den Kopf. Es dauerte nicht lange.
Wie viele Exknackis hatte auch Henry Wallis sich auf ein Minimum an Möbeln beschränkt und seine wenigen Besitztümer fein säuberlich geordnet.
Conklin übernahm das Schlafzimmer und das Bad, während
ich das kleine Wohnzimmer und die Küche durchsuchte. Ab und zu riefen wir einander etwas zu: als Conklin die in Plastikfolie gewickelten Marihuana-Briketts im Katzenklo oder ich ein Buch über Tätowierungen entdeckte. Die Seiten mit Schlangenmotiven besaßen Eselsohren.
Aber das war alles.
Keine alten Zeitungsausschnitte, keine neuen Zeitungsausschnitte, keine Altäre zur Selbstbeweihräucherung, keine Trophäen von reichen Leuten. Und was das Wichtigste war: keine Schlangen.
Keine Schlangenfiguren, keine Schlangenskulpturen, keine Schlangenbücher.
»Keinerlei Reptilien, bis auf die hier«, sagte ich und zeigte Conklin das Tätowierungsbuch.
Er meinte: »Schau dir das mal an.«
Ich folgte ihm ins Schlafzimmer und betrachtete seinen Fund: eine Schublade mit XL-Frauenkleidern.
»Wenn er keine kräftige Freundin gehabt hat - und ich sehe hier weder Bilder noch Kosmetik oder sonst was, was in diese Richtung deuten könnte«, sagte Conklin, »dann war Henry Wallis ein Transvestit.«
»Ein Transvestit und Drogendealer. Ich verstehe, dass Sara Needleman ihm den Laufpass gegeben hat. Sperren wir das Loch hier zu«, sagte ich.
»Ich wohne bloß ein paar Häuserblocks entfernt«, sagte Rich, während wir die Tür verriegelten und mit einem Vorhängeschloss sicherten. »Komm doch noch auf einen Drink mit zu mir. Dann können wir das Ganze in Ruhe besprechen.«
Ich erwiderte: »Vielen Dank, aber ich habe gerade den längsten Tag meines Lebens hinter mir,
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