Das 9. Urteil
stehlen, aber falls sie es dadurch tatsächlich möglich machte, dass sie dem Terror und dem Scheusal entfliehen konnten, dann konnte sie damit leben.
Sarah malte sich aus, wie Heidi sie anstarrte, als wäre sie eine Außerirdische, wie sie die Kinder einsammelte, in ihren Wagen stieg und wegfuhr. Sarah verschränkte die Arme vor der Brust und krümmte sich. Der Gedanke daran, Heidi zu verlieren, brachte sie fast um. In diesem Fall wäre alles, was sie getan hatte, umsonst gewesen.
Sarahs Handy klingelte. Sie nahm ab.
»Wo bist du, Sarah? Wir sind auf dem Parkplatz.«
Sarah erhob sich und winkte.
Sherry rief: »Sarah, Sarah«, und rannte auf die Freundin ihrer Mutter zu. Sarah nahm das kleine Mädchen auf den Arm.
Heidi hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Sie hielt ihren Schlapphut fest und balancierte Stevie auf der Hüfte. Der Wind blies kräftig von vorn, und ihr Rock schmiegte sich eng an ihren Körper. Heidi war so wunderschön. Und das war noch das wenigste, weshalb Sarah sie liebte.
Jetzt war Heidi bei ihr und umarmte sie, die beiden Kinder in der Mitte.
Sherry musterte aufmerksam Sarahs Gesicht und fragte: »Was ist los, Sarah? Hat dir jemand wehgetan?«
Sarah setzte Sherry ab und fing an zu weinen.
84
Heidi und Sarah betraten die malerische Brücke über dem schmalen Meeresarm, der von der San Francisco Bay aus in den hübschen kleinen Naturpark ragte. Sherry lief mit Stevie voraus bis zu dem Holzsteg, und die beiden – kein Gedanke mehr an die Erwachsenen – fingen an, Steine zu sammeln und ins Wasser zu werfen.
Die beiden Frauen setzten sich auf eine Bank, und Heidi sagte: »Was ist denn los, Süße?«
Sarah blickte Heidi ins Gesicht und erwiderte: »Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir das sagen soll. Ich wollte dich eigentlich aus allem raushalten. Ich wollte dich da beim besten Willen nicht mit reinziehen.«
»Hui«, meinte Heidi. »Jetzt machst du mir aber wirklich Angst.«
Sarah nickte und sagte, den Blick starr auf ihre Fußspitzen gerichtet: »Hast du mal was von diesem Einbrecher gehört, den sie Hello Kitty nennen?«
»Das ist der, der die Frau von Marcus Dowling umgebracht hat, oder?«
»Ja … tja … also, ich war’s nicht.«
Heidi lachte. »Ja-ha. Natürlich nicht. Was redest du denn da?«
»Heidi, ich bin Hello Kitty.«
»Ach was! Bist du nicht!«
»Glaubst du wirklich, ich würde mir so was ausdenken? Heidi, glaub mir, ich bin die Einbrecherin. Lass mich erst mal ausreden, danach kannst du mich alles fragen, was du willst.«
»Okay. Aber … okay.«
»Ich habe dir doch schon mal erzählt, dass mein Großvater Juwelier war«, begann Sarah. »Aber was ich dir nicht erzählt habe, ist, dass er mit einem Hehler befreundet war. Als ich in Sherrys Alter war, habe ich oft im Laden meines Großvaters gespielt und dadurch eine ganze Menge mitbekommen.
Und als ich mir dann immer wieder überlegt habe, wie ich uns alle hier rausholen könnte, da ist mir klar geworden, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt, um ziemlich schnell reich zu werden. Ich habe mit dem Training an der Kletterwand angefangen und mir potenzielle Opfer ausgesucht – alles Leute, die den Verlust verkraften konnten. Aber trotzdem, am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich das überhaupt kann.
Und dann hat Trevor mich vergewaltigt.«
Sarah schluckte schwer, zwang sich, die Erinnerung zu verdrängen.
»Die ersten Einbrüche waren … problemlos«, fuhr sie fort. »Irgendwie hatte ich einfach den Bogen raus, und außerdem konnte ich mich darauf verlassen, dass Trevor regelmäßig vor dem Fernseher ins Koma gefallen und erst wieder aufgewacht ist, nachdem ich fertig war und schon im Bett lag.
Dann kam die Sache bei den Dowlings.«
Heidi sah erschüttert aus, als wollte sie etwas sagen, ohne die passenden Worte zu finden. Stattdessen starrte sie Sarah einfach nur an. Sarah sprach weiter, erzählte Heidi von Marcus Dowlings mieser Lügengeschichte und von ihrem nächsten Raubzug, bei dem Jim Morley das Zimmer betreten hatte, als sie gerade bis zu den Ellbogen im Schmuck seiner Frau gesteckt hatte. Und dann kam sie zu dem Einbruch bei Diana King, ihrem allerletzten Ding.
»Es musste ja so kommen«, sagte Sarah. »Ich dachte, ich hätte es geschafft. Und dann ist da plötzlich wie aus dem Nichts ein Streifenwagen aufgetaucht, hat mich angeleuchtet und verfolgt. Also habe ich alles weggeworfen: den Schmuck, den Großteil meiner Klamotten und – das war der genialste Schachzug überhaupt – meine
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