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 Das Abkommen

Das Abkommen

Titel: Das Abkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyle Mills
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noch einen Nachtisch bestellen.«
    Sie gehörte zu den Mädchen, die es fertig brachten, in einer grauenhaften Polyesteruniform noch interessanter zu wirken, weil man dadurch gezwungen war, sich vorzustellen, wie sie ohne aussah. Eine willkommene Ablenkung.
    »Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Gehören Sie zu den anderen? Sind Sie auch Reporter?«
    »Nur auf der Durchreise«, sagte ich. Sie sah irgendwie enttäuscht aus und ging.
    Ich schaufelte noch einen Bissen von dem matschigen Brötchen in meinen Mund und kaute darauf herum, während mein Blick wieder zu dem Gerichtsgebäude auf der anderen Straßenseite ging, das ich von meinem Tisch am Fenster aus ungehindert sehen konnte.
    Ganz oben auf der Treppe des Gerichts stand Angus Scalia und sprach mit sichtlichem Vergnügen zu einer begeisterten Menschenmenge, die er zweifellos mit Bussen herbeigekarrt hatte. Ich konnte ihn nicht hören, aber ich war nah genug, um zu sehen, wie sich seine dicken Lippen verzerrten und auf seinem Hemd Schweißflecken unter den Achseln entstanden. Er drehte sich zur Seite, wobei sein berüchtigtes Alfred-Hitchock-Profil sichtbar wurde, und wies anklagend mit dem Finger auf das Gebäude hinter sich.
    Die Menge begann zu applaudieren, was ein sonderbar zischendes Geräusch ergab, das sogar durch das Fenster des Diner drang. Ich beugte mich etwas weiter zum Glas, bis es mir gelang, seine Stimme zu hören, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Vermutlich war er gerade dabei, die Leute, die etwas mit der Herstellung von Zigaretten zu tun hatten, mit Satan zu vergleichen. Oder Hitler. Oder den Pocken. Oder Jack the Ripper.
    Obwohl Scalia etwas zu Übertreibungen neigte, war es mir immer schwergefallen, ihn als den weltfremden Spinner abzutun, für den ihn meine Kollegen hielten. Er war der einzige Vertreter der Anti-Tabak-Lobby, der eine genaue Vorstellung von dem hatte, wofür er kämpfte. Ich weiß, dass es zynisch klingt, aber Anti-Tabak-Lobbyisten sind so ziemlich die unfähigsten Saukerle, die diese Welt je gesehen hat. Man konnte sie ganz einfach kontrollieren – und Sie können mir glauben, dass die Tabakindustrie genau das tat –, indem man dafür sorgte, dass sie genug Geld bekamen. Jedes Mal, wenn Big Tobacco eine Niederlage einstecken und Geld herausrücken musste, erklärte sich der Konzern »widerstrebend« bereit, der Anti-Tabak-Lobby zweistellige Millionenbeträge in Form von Ratenzahlungen zukommen zu lassen. Diese finanziellen Zuwendungen wurden natürlich mit einer Klausel verknüpft, nach der ein Gewinneinbruch in der Tabakindustrie auch entsprechend geringere Zahlungen an die Anti-Tabak-Lobby zur Folge hatte. Und so war es uns gelungen, aus den Anti-Tabak-Organisationen selbstlaufende Maschinen zu machen, für die es eigentlich keinen Anreiz gab, die Menschen dazu zu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Raffiniert? Eigentlich nicht. Die Gegenseite war einfach zu leicht zu durchschauen.
    Bis auf Scalia. Er weigerte sich standhaft, sich vor den Karren der Tabakindustrie spannen zu lassen, und stellte seine Mitstreiter in der Anti-Tabak-Lobby bei jeder sich bietenden Gelegenheit als die Horde von Clowns dar, die sie in Wirklichkeit auch waren. Soweit ich es beurteilen konnte, wurde der Mann von fast allen gehasst, die etwas mit Tabak zu tun hatten: Seinen Kollegen, Big Tobacco, der Regierung, den Rauchern. Von allen, bis auf die Medien.
    Scalia kam im Fernsehen ausgesprochen gut an. Er war ein Mann, den man ohne Weiteres dazu bringen konnte, sich dermaßen aufzuregen, dass er fast in die Kamera sprang und so aussah, als würde er in der nächsten Minute einen Herzinfarkt bekommen. Keine Frage – so etwas kam im Fernsehen hervorragend rüber. Und jetzt, da der Prozess in Montana in vollem Gange war, zeigten seine politisch unmöglichen Tiraden doch tatsächlich Wirkung. Er sah nicht mehr aus wie ein Mann, der gegen Windmühlen anrennt, eher wie einer, der durch seine zähe Beharrlichkeit vielleicht doch noch als Gewinner aus dem Kampf hervorgehen kann.
    »O nein«, murmelte ich mit vollem Mund. Jemand drückte ihm ein Mikrofon in die Hand.
    »Ich möchte jetzt jemanden zu mir bitten, den ich nicht mehr vorzustellen brauche …« Seine Stimme drang durch das Fensterglas und sorgte dafür, dass die anderen Gäste anfingen, Geldscheine auf die Theke zu knallen und dann zum Ausgang zu rennen.
    Die alte Frau, die von einem der Anwälte der Kläger im Rollstuhl vorgefahren wurde, winkte schwach, während die

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