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 Das Abkommen

Das Abkommen

Titel: Das Abkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyle Mills
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Menschenmenge vor dem Gericht immer größer wurde. Es waren nicht nur die Reporter aus dem Diner, die sich zu den anderen gesellten, sondern auch Einwohner der Stadt, die zufällig vorbeikamen. Die Menschen sahen zu ihr hoch, mit einer zu Herzen gehenden Verehrung, die mir ein flaues Gefühl im Magen bescherte.
    Steve Reeves hatte mir Mrs Glascos eidesstattliche Aussage gegeben, und ich hatte sie gestern gelesen, bevor ich ins Bett gegangen war. Sie war erst fünfundsechzig, aber die Chemotherapie hatte sie um zwanzig Jahre altern lassen, was meistens so war. Sie lebte allein in ihrem gepflegten, kleinen Häuschen, das alles gewesen war, was sie sich je in ihrem Leben hatte leisten können. Seit sie nach dem Tod ihres Mannes krank geworden war, kümmerten sich die Kinder der Stadt um ihren Garten, und immer, wenn etwas am Haus kaputt war, wurde es von einem ihrer ehemaligen Schüler repariert, ohne dass dafür je eine Rechnung gestellt wurde. Die einzige Schlussfolgerung, die ich daraus ziehen konnte, war die, dass sie nicht menschlich war. Niemand konnte so beliebt sein. Ich jedenfalls hatte meine Lehrer immer gehasst.
    Sie saß reglos da, während ihr Rollstuhl gefährlich nah an den Stufen der Treppe stand und Scalia gegen die Leute wetterte, die ihr das angetan hatten – die Leute, die sie schon in jungen Jahren süchtig gemacht hatten, während sie gleichzeitig Informationen über die Gefahren des Rauchens unterschlagen hatten, die Leute, die versucht hatten, die Warnungen der Regierung durch hartnäckiges Leugnen und geschickte Werbung zunichtezumachen. Die Leute, die jetzt bis aufs Messer darum kämpften, ihre Verantwortung auf diese arme alte Frau abzuwälzen.
    Traurig daran war nur, dass das wohl alles war, was jetzt noch von Mrs Glasco übrig war. Für ihre Anwälte war sie ein potenzieller Gewinn, für meine Firma ein potenzieller Verlust, für die Anti-Tabak-Lobby ein Vorzeigekind. Und wenn sie tot war, würde nie wieder jemand an sie denken.
    Nein, das stimmte nicht. In der Erinnerung der Kinder, die sie unterrichtet hatte – eine ganze Stadt voll von ihnen –, würde sie mehr sein als nur Mittel zum Zweck.
    Als die hübsche Kellnerin vorbeikam, ließ ich einen Zwanziger auf den Tisch fallen und stand auf. »Ich habe gewonnen«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Sie haben nicht alles gegessen.«
    »Oh. Die Wette. Ja.« Ich ging auf den Ausgang zu, blieb dann aber stehen und drehte mich zu ihr um. »Hatten Sie Mrs Glasco?«
    »Nein«, sagte sie fröhlich. »Ich hatte Mrs Blake.«
     
    Ich lief über die Straße. Die Luft war noch kalt und kroch durch die Vorderseite meines Hemds, während mir die Sonne auf den Rücken brannte.
    »Seit Hunderten von Jahren lassen wir uns das gefallen«, brüllte Scalia, als ich den äußeren Ring seines Publikums erreicht hatte. »Hunderte von Jahren mit lauter Lügen. Hunderte von Jahren mit Manipulation. Hunderte von Jahren mit Tod. Doch jetzt haben wir die Macht, etwas zu ändern – wir können den ersten echten Schritt tun, um diese Mördermaschinen endlich zu stoppen.«
    Scalia war kein eleganter Redner – dazu neigte er viel zu sehr zu Klischees und melodramatischen Phrasen –, aber dieser rhetorische Mangel schien die Wirkung seiner Worte nicht abschwächen zu können.
    »Wie viele haben sie im Laufe der Jahre getötet? Wie viel haben sie dieses Land gekostet?«
    Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich spät dran war. Unsere Anwälte hatten mich eingeladen, zur Verhandlung zu kommen, bevor ich zurückflog. Ehrlich gesagt sah ich darin nicht viel Sinn, aber vielleicht ließ es mich gewissenhafter und interessierter aussehen, wenn ich mich für eine Weile in den Gerichtssaal setzte.
    Ich drückte mich seitlich an der Menschenmenge vorbei, während Scalia seinen einmal eingeschlagenen rhetorischen Weg mehr oder weniger weiterging. Als ich kurz vor der Treppe war, verstummte er plötzlich.
    »Sehen Sie nach unten!«, brüllte er auf einmal.
    Ich versuchte, mich an einer Frau mit einem Kinderwagen neben mir vorbeizudrängen, musste dann aber doch den Weg um sie herum nehmen.
    »Ich möchte, dass Sie alle nach unten sehen!«
    Zufällig hob ich in diesem Moment den Kopf und stellte fest, dass er genau auf mich zeigte. Ich erstarrte mit einem Fuß auf der Treppe.
    »Wissen Sie, wer dieser Mann ist?«, fragte Scalia die Menge. »Das ist Trevor Barnett. Seine Familie gehört seit fast zweihundert Jahren zu den treibenden Kräften der Tabakindustrie.«
    Ich wusste,

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