Das achte Opfer
sagte Hellmer. »Die Rechnung schicken Sie bitte zu Händen von Hauptkommissar Berger. Sie können jetzt gehen.«
Sie traten in den fensterlosen Raum, der in etwa die Größe eines normalen Wohnzimmers hatte und mit einem dichtflorigen Teppichboden bedeckt war. Die von außen dunkle Eichentür war an der Innenseite mit dickem Leder verkleidet, wahrscheinlich, um zu verhindern, daß irgendwelche Geräusche nach außen drangen. Rechts an der Wand befand sich der Lichtschalter, der den Raum in ein grelles, unangenehmes Licht tauchte. An zwei Wänden standen Regale, die bis unter die Decke mit Aktenordnern und Videokassetten gefüllt waren. An der freien Wand befanden sich eine dunkelblaue Ledercouch, etwas schräg davon ein ebenso blauer Ledersessel und eine komplette Videoanlage mit Fernsehapparat sowie mehrere Fotoapparate, Stative und ein Computer. Hellmer und Durant sahen sich eine Weile wortlos um, ohne etwas zu berühren, sie standen nur in der Mitte des Raumes und ließen ihre Blicke von einer Wand zur anderen schweifen. Schließlich sagte Julia Durant: »Das Spielzimmer des Herrn Professor, gesichert wie Fort Knox. Dann wollen wir doch mal sehen, was er so gespielt hat.«
Sie ging zu einem Regal, nahm wahllos einen der Ordner heraus, blätterte darin, hielt ihn eine Weile in den Händen, ohne ein Wort zu sagen. Ihr Blick haftete auf einem Bild, das einen vielleicht zehn- oder elfjährigen Jungen zeigte, dessen Augen geschlossen waren, der auf der Seite lag und scheinbar regungslos über sich ergehen ließ, wie ein Mann ihn penetrierte. Das Gesicht des Jungen war, durch die geschlossenen Augen, kaum zu erkennen, während von dem Mann nur der Bauch, ein Teil des Penis und dieOberschenkel bis zum Knie zu sehen waren. Sie hielt den Ordner wortlos Hellmer hin, der ihn in die Hand nahm und das Bild einen Moment anstarrte.
»Diese gottverdammte Drecksau!« stieß er fassungslos hervor. »Er hat sich an Kindern vergangen, genau wie Winzlow. Und wenn es stimmt, was diese Nadja sagt, dann haben sowohl Neuhaus als auch Domberger Kinder und Jugendliche mißbraucht. Ist es das, was wir suchen? Ist es das, was den Mörder dazu bringt, diese Kerle umzubringen? Wenn es so ist, dann könnte ich ihn sogar verstehen.«
»Könnte?« fragte Julia Durant mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und mit in Falten gezogener Stirn.
»Nein, verdammt noch mal, ich kann diesen Typen verstehen. Kinder! Sie sind und werden es immer bleiben, das schwächste Glied unserer Gesellschaft. Sie haben nicht verdient, geschlagen oder mißhandelt oder sexuell mißbraucht zu werden. Und was diese Kerle mit ihnen gemacht haben, das endet letztendlich im seelischen Tod. Und im sozialen Abseits. Sie werden Junkies, Huren, Stricher oder was weiß ich nicht alles. Auf jeden Fall werden sie niemals ein normales, geregeltes Leben führen. Sie werden immer und ewig diese Last auf ihren Schultern tragen, als Kind mißbraucht und mißhandelt worden zu sein. Ich kann und will auch nicht verstehen, was Menschen dazu bringt, Kinder so schändlich zu mißbrauchen. Und wenn diese Leute einen auch was weiß ich noch so hohen gesellschaftlichen Stand haben, sie sind Schweine, gottverdammte, elende Schweine! Und dabei sollte man meinen, gerade solche Leute besäßen so etwas wie Moral . . .«
Die Kommissarin faßte Hellmer leicht bei den Schultern, blickte ihn von der Seite an. Sie sagte: »Weißt du, ich habe, seit ich bei der Polizei bin, erst bei der Sitte, dann bei der Mordkommission, feststellen müssen, daß die Hemmschwelle,was Perversionen und Sex im allgemeinen angeht, sinkt, je angesehener und materiell wohlhabender die Leute sind. Viele von ihnen geben sich einfach nicht mehr nur mit einfachem Sex zufrieden, sie suchen nach immer neuen Betätigungsfeldern, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, und sie finden auch immer etwas Neues . . . Aber das habe ich dir, soweit ich weiß, schon einmal gesagt, als wir das mit Winzlows päderastischen Neigungen herausfanden. Trotzdem, der einfache, normale Sex, wie er in Millionen von Haushalten regelmäßig praktiziert wird, dieser Sex ist für diese Leute einfach nur lächerlich. Sie mögen es brutal, entweder passiv, das heißt masochistisch, oder aktiv, also sadistisch. Sadomaso-Studios sprießen wie Unkraut aus dem Boden, und das wäre nicht so, wenn bestimmte Männer nicht diese Neigung, sich quälen zu lassen, besäßen. Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein ziemlich reicher Mittdreißiger, Unternehmer aus
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