Das achte Opfer
hätt’s vielleicht nicht sagen dürfen, aber dir vertraue ich. Er hat den gestrigen Brief mit diesem Namen unterschrieben, mich aber gebeten, ihn keinem Menschen im Präsidium zu nennen, weil einige dann sofort wüßten, wie sein richtiger Name ist . . .«
»Ja, und?! Dann könnten wir doch wenigstens zwei Morde verhindern!« sagte Hellmer. »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Hör zu, er sagt, wenn wir den Fall vollständig lösen wollen, dürfen wir keinem verraten, daß ein sogenannter Cicero der Täter ist. Und ich habe mir selber das Versprechen gegeben, diesem Wunsch nachzukommen. Und von dir erwarte ich das gleiche.«
Hellmer holte tief Luft, rollte mit den Augen, schüttelte den Kopf. »Mit dir hat man’s wirklich nicht leicht. Aber gut, ich verspreche es, auch wenn es gegen jede Vorschrift verstößt. Wenn Berger das wüßte, er würde uns sofort vom Dienst suspendieren.«
»Er weiß es aber nicht, und wenn du den Mund hältst, wird er es auch nie erfahren.«
Hellmer lachte auf, sah Julia Durant an und sagte: »Weißt du, daß wir unserem Killer auf passive Weise helfen, seine Todesstrafen zu vollstrecken?«
»Du hast doch vorhin selber gesagt, als du die Bilder gesehen hast, man müßte diese Typen breitbeinig über den Stacheldrahtzaun ziehen. Ist das etwa keine Todesstrafe?« fragte sie spöttisch lächelnd.
Hellmer grinste nur und sagte: »Klar, aber . . .«
»Kein Aber! Unser Cicero ist schlau wie ein Fuchs. Und was er tut, tut er nicht, weil es ihm Freude bereitet, sondern weil er keinen anderen Weg sieht als diesen. Und was wir bisjetzt aufgedeckt haben, ist schon schlimm genug. Und er weiß, die Polizei ist machtlos, wenn er sie nicht auf die richtige Fährte führt. Aber er weiß auch, daß es bei der Polizei und darüber hinaus eine Menge undichter Stellen gibt, von Korruption ganz zu schweigen. Siehe Flughafen gestern. Und unser anonymer Informant scheint auch eine ganze Menge zu wissen, doch er hat panische Angst. Wobei ich nicht glaube, daß unser Täter auch ihm etwas tun würde. Es ist einfach nur ein Gefühl, aber auf eine gewisse Weise haben beide die gleichen Intentionen. Der einzige Unterschied ist, daß der eine unter allen Umständen anonym bleiben möchte und wahrscheinlich vom Typ her nicht in der Lage ist, einen Mord zu begehen, während der andere ganz offensiv vorgeht. Und er hat keine Angst, denn er hat wohl, wenn ich die Aussage von Hübner richtig verstanden habe, selbst keine Angst vor dem Tod. Ich bin nur gespannt, wer die nächsten beiden Opfer sind, und vor allem – wer der Täter ist.«
Julia Durant griff zu ihrem Handy und wählte Bergers Nummer. Sie berichtete ihm in knappen Worten von dem Geheimzimmer in Meiningers Haus und von den Akten und Videobändern.
»Ich werde veranlassen, daß sämtliches Material ins Präsidium geschafft wird. Was schätzen Sie«, fragte Berger Julia Durant, »wie viele Ordner und Videobänder sind es?«
Sie blickte sich kurz um, ließ ihren Blick über die Regalwände streifen, sagte dann: »Ich schätze, es sind so um die fünf- bis sechshundert Ordner und in etwa genauso viele Bänder.«
»Ph, da brauchen wir Regale, wir können das ganze Zeug nicht einfach so hier im Präsidium stapeln. Ich werde jemanden zum Ausmessen vorbeischicken und dann holen wir uns bei IKEA die notwendigen Regale. Wie lange brauchen Sie noch bei Meininger?«
»Wir sind im Prinzip fertig. Warum?«
»Oberstaatsanwältin Schweiger wünscht, daß ich um dreizehn Uhr in ihrem Büro erscheine. Ich habe aber darum ersucht, daß auch Sie und Hellmer dabei sind, Sie führen schließlich die Ermittlungen. Sie erklärte sich einverstanden. Ich wollte Sie nur darauf vorbereiten.«
»Schau an, die Oberstaatsanwältin persönlich bittet uns in ihr Heiligtum. Wir werden pünktlich dasein. Sonst noch was?«
»Eine ganze Menge sogar. Aber das besprechen wir lieber heute nachmittag in aller Ruhe hier im Büro. Bis nachher dann.«
Hellmer sah die Kommissarin ungläubig an. »Hab ich das richtig gehört, wir sollen bei der Schweiger antanzen? Diese alte Kuh hat mir noch gefehlt!«
»Wieso?« fragte Julia Durant grinsend. »Sie sieht doch gar nicht so schlecht aus. Und so alt ist sie nun auch wieder nicht. Höchstens Anfang Vierzig.«
»Sie ist eine Ratte. Ich weiß nicht, welche Mittel sie eingesetzt hat, aber in dem Alter und so schnell Oberstaatsanwältin zu werden . . . Ich kann mir nicht helfen, aber die Frau ist mir nicht ganz geheuer. Ich bin ihr zwar nur
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